26. November f.

29. November 2009 |

26. November

5.30. Gehtsokaffee. Zehnkiloaugenlider. Im Großraum Richtung Berlin. Wenns hier gleich ein bisschen kracht, bin ich auf den Lepptopp gefallen. Noch sechs Stunden bis Axel. München verschwimmt im Grau des Gedächtnisses, in das es gehört.
Gately versucht sein Leben zu retten, in dem er sich erinnert. Oder ist das Ganze hier eine verlängerte Schussfahrt in den Tod. Man soll sich ja an alles erinnern, bevor man im Hades ersäuft. Gately hieß Gunny, damals in der Schule „Großer Unzerstörbarer Nullchecker“ (hießen die tatsächlich schon Checker in der Schule der frühen Siebziger? Kerl, hingen wir dann aber hinterher!). Einen riesigen Schädel hat er, das wussten wir ja schon, auch dass er seinen Schädel gegen alles mögliche gebumst hat, wussten wir. Dass er’s für Geld und gute Wetten tat, wussten wir noch nicht. Ein netter Kerl war er wohl nie. Dabei hatten wir ihn allmählich doch so ins Herz geschlossen. Kurzabriss seiner Drogistenkarriere: 1. Joint mit 9, 1. Rausch mit 9 und dann gings weiter. Dass ADS diagnostiziert wurde bei ihm, überrascht nicht sehr. Mit 13 die ersten Quaaludes, von dem ich mir gar nicht vorstellen mag, was es ist. Einen ganzen Lebensabschnitt nennt er, wenn ich das richtig mitbekomme, Ära des Angriffs der Killer-Gehwege, wahrscheinlich wg. drogenbedingter Fallsucht nach mnemonischem Brownout. Gately ist hammerbegabt für Football, das tut er tagsüber, nach 18 Uhr tut er drogen. Irgendwann wird er sich sagen, irgendwo in der Welt sei immer 18 Uhr und dann ist Feierabend. Die Drogenbeichte geht weiter und schleppt sich relativ berechenbar durch die Jugend. Als Gunnys Mutter, die in einem Jahr auch mehr Alkohol zu sich genommen hat, als meine Leber bis zu ihrer Berentung braucht, mit zirrhotischer Hämorrhagie in die Klinik kommt, ists vorbei mit der Footballkarriere.
Schnitt. Hal in der E. T. A. Bin ich müde, verschwimmen meine Augen. Das ist doch fast derselbe Ton, in dem Gunny durch seine Jugend stolpert. Postpubertäre Mutwilligkeit. Immer wieder halten Schüler ihre Köpfe herein. Pemulis zum Beispiel, der zu der einzigen Sache im Zimmer wird, die sich als grundlegend vertikal begriff. Ich langweilte mich. Ich wusste nicht, wann er mich je gelangweilt hätte. „Und ich habs grad nicht nötig, dass du Verführungsrhetorik gegen mich in Stellung bringst.“ Hal redet mit Pemulis, ich mit DFW. Es wird ein Streifen Fleisch am Fenster gefunden. Stirn des Schattens. Hal erinnert sich an die Beerdigung des Storchs und wie C. T. von einer Möwe beschissen wird, und referiert den Inhalt einer der beliebten Storchenpatronen.
Schnitt. Gatelys Hadesfahrt geht weiter. Seine kriminelle Truppe rottet sich zusammen mit Gene Fackelmann für Whitey Sorkin. Die Twin Towers. Erst jetzt, steht da, sei er mit echter Sucht in Kontakt gekommen. Ja, was war das den bisher. Gottogott. Fackelmann könnte sich auch prima bei den Rollis für technische Vernehmungen bewerben (was machen die eigentlich im Moment, die wollten doch die Incandenzas überfallen, statt dessen sind wir hier in der Traumaabteilung). Fax Fackelmann und Gunny Gately sind so was wie Schutzgeldengel und Raubvögel von Mr. Sorkin. Nicht wahnsinnig interessant. Gately erzählt von Dilaudid, von dem Fax abhängig ist, und das eine „schreckliche, fünf Sekunden andauernde mnemonische Halluzination erzeugte, in der er ein gargantueskes Kleinkind in einem Fisher-Price-Gitterbett im XXL-Format au feinem sandigen Feld unter einem Sturmwolkenhimmel war, der sich wie eine große graue Lunge wölbte und schrumpfte“. Wieder mal alles drin in einem Satz und alles zuviel. Das ist das große Buch der Verschwendung.
Krach. Es reicht für heute Vormittag. Muss noch Juli Blesken lesen. Darf Julia Blesken lesen. Ein Zehntel vom Spaß. Dorfgeschichte. Ausgesprochen großartig.

27. November

13.30. Großraum über der Dutschkestraße. Feuerwerksmusik. Irgendwas Leuchtendes muss dieser Tag haben. Das heißt, so trüb ists auch wieder nicht: Gerade erklärt dieser Minister Wiehießernochgleich, dass seine Leute Mist gebaut haben, seine Leute, tja, da kann man halt nix machen, wenn die eigenen Leute Mist bauen, und deswegen geht er jetzt vonwoauchimmerergerade gearbeitet hat (was war er nochmal). Das dürfte neuer Rekord sein. Manchmal möchte man sich schon an die Gegenwart nicht mehr erinnern.
Gately schlendert weiter durch sein Leben Richtung Hades. Gerade ist er dabei gefälschte Führerscheine für Massachussetts zu laminieren. Was man im Leben so alles tut. Und von einem Punter ist die Rede, der wahnsinnig begabt sei (Orin?) und der was werden könne, wenn er bloß „die Karotte im Auge“ behalten würde. Trennt der tatsächlich Tonfälle oder geht das munter durcheinander. Müsste man noch mal, wenn man Zeit hätte. Gunny Gately kommt in den Knast. Michael Pemulis sucht verzweifelt nach einem Schuh. Fax Fackelmann bescheißt Whitey Sorkin. Und ich frag mich, wo das hin gehen soll. Von Schlusssteigerung kann jedenfalls gegenwärtig keine Rede sein. Bobby C taucht auf, den wir, wenn meine nebulöse Erinnerung nicht täuscht als einen hipphoppenden Erzähler mal hatten. Gately gerät in eine moralische Klemme und unter die pflegenden Hände einer sehr kurvoiden Schwester, die allerdings, das tötet tatsächlich alle erotische Fantasie, ihm gerade einen Einlauf gemacht hat. So was von erniedrigend. Und er gesteht, dass er noch nie mit einer wirklich gesunden, nie mit einer irgendwie nüchternen Frau… Was für eine Bilanz. Bei der Visite parliert der AiPler tolles „Schauderwelsch“. Schauderwelsch! Danke, Ulrich Blumenbach. Die sexuelle Spannung nimmt zu. Und der Schmerz bleibt: „Es ist, als hätte seine Schulter eigene Hoden bekommen, denen ein winziger Kerl bei jedem Herzschlag einen Tritt versetzt.“ Auweia.
Tote gemüsifiziert zu nennen, ist immer noch sehr lustig. Auch eine Sportsbar als „Katerschmiede für Schlechterverdienende“ ist nachgerade genial. Sonst geht alles seinen Gang, wankt zwischen Gestern und Gegenwart hin und her. Pamela Hoffman-Jeep schemt auf. Auch so eine Hochgrad-Alkoholikerin, entweder sie ist hackedicht oder sie ist hackepassiv, was beides auf das Gleiche hinausläuft. Dann geht es noch um einen fatalen Verhörer bei einem Wetteinsatz und alles geht drunter und drüber.
14.30. Gehtsokaffee. Das SchMaZ hat nach den jüngsten Ereignissen fünf Chefs in einem Jahr. Das hab ja bis jetzt ich nicht geschafft. Drunter und drüber. Ein ruhiges Jahr wär auch mal schön. Frohe Weihnachten.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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