in Daniel Barenboims Kita, in die gerade die Zwillingskindlein eingewöhnt werden, beide („beide“: na logisch) zweieinhalb. Ich soll mich im Hintergrund halten, aber eben da sein, ich beim Buben, die Mama beim Mädel. Zwischendurch muß umarmt werden, etwas gestreichelt, dann wird weitergelesen. Auch mal draußen, auf der Straße, weil geschaut werden soll, wie der Bub auf die Abwesenheit des Papas (das Mädel der Mama) reagiert. Dann geh ich lesend auf der Leipziger auf und ab.
Als das Buch ankam, ein Ziegelstein, dachte ich spontan, der Buchgestalter des Verbrecherverlages habe das Haus gewechselt; dummdas, ich weiß nur noch nicht, für wen, wenn ein Buchprofil, das an sich eindeutig zuzuordnen war, ins Verschwimmen gebracht wird. Wollte dem Hauptverbrecher Sundermeier eine Mail drüber schreiben, hab ich aber noch nicht getan. Ich ruf vielleicht auch besser an. Wurscht.
Dann, ähnlich hat schon Oswald auf die Sprache reagiert, gehen mir die falschen Konjunktive auf den Keks; aber der Gebrauch des Konjunktivs läßt sich ja durch Gewöhnung desensibilisieren (sogar der Dudenredaktion gelingt diese Art der Therapie); hat man 100mal hintereinander gelesen „er muß vermutet haben, ich wäre irgendwie am Ersticken (…), wäre psychisch aus der Kontrolle“ usw., dann vermißt man die fehlende Kondition schließlich nicht mehr, die den Irrealis rechtfertigt. Also verlaß ich mich mal aufs Einschleifen. Zweiter Eindruck: das Buch strotzt vor Manierismen, und da mir Manierismen gefallen, gefällt mir das Strotzen, auch wenn mich irritiert, daß offenbar die Kiepernheuer die Manierismen ganz ebenfalls lieben. Sowas ist mir schon mal bei DeLillo aufgefallen. Sprich: US-Amerikaner „dürfen“, Deutsche solln hingegen nicht. Sehr schön ist übrigens, auf S. 11, die „schräggeschäftete Sonnensäule“.

[Ah ja, da hier bereits von den unterdessen erschienenen Kritiken geschrieben wurde: ich enthalte mich ihrer Lektüre. Außer vielleicht hier, im unendlichen Blogspaß, will ich keine anderen Meinungen lesen, bevor ich mit meiner eigenen Lektüre fertig bin. Da ich kein Zeitungsleser bin, fällt mir das nicht schwer.]

Alban Nikolai Herbst, geboren 1955 in Refrath, erhielt 1995 den Grimmelshausen-Preis, 1998 einen Jahresaufenthalt in der Deutschen Akademie Villa Massimo Rom, 1999 den Phantastik-Preis. 2007 wurde Herbst auf die Poetik-Dozentur der Universtität Heidelberg berufen. 2008 erschienen seine Gedichtbände „Aeolia. Gesang/Stromboli“ sowie „Der Engel Ordnungen“ und über den Autor ein 250seitiger Themenband der „horen“: „Panoramen der Anderswelt. Expeditionen ins Werk von Alban Nikolai Herbst“.

3 Kommentare zu Die ersten einundzwanzig Seiten gelesen,

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wolf schwarzkopf

26. August, 2009 um 22:51

dies ist kein kommentar zu lebenden autoren, mehr ein schwacher interpretationsversuch zum buch.
dear reader,
ich würde gern bei den anfängen anfangen wollen.

das beispiel h –
hal ißt (ist?) schimmel, ( PID, ((prinzip der induktiven definition)), mathebuch/georg cantor, ∞, d.f.w., s. 10 ) erschrickt, aber weder ihren sohn zu beruhigen, den mund auszuspülen etc., (vgl. „inkarnationen gebrannter kinder“, d.f.w.), schreitet die hysterische mutter gartenrechtecke ab,
läuft synchron mit:
beispiel p – hals verhör + oral ausgelöstem entsetzen (thesen s. 20?!) vor der schulbehörde.

wie verhält es sich nun innerhalb und außerhalb im/zum dynamischen textgebilde mit ungleichen postleitzahlenbereich, hinsichtlich elliptisch, komplementär, ephemeridisch, der hesperaten frege-schnittstelle zu, die nicht zu fassen ist (für mich)?

noch ein beispiel s. 26
„…nichtöffentliche Toilette das Wort Messer gelesen, dass mit dem Finger auf den beschlagenen Spiegel geschrieben worden war. Ich bin infantophil geworden.“

als er sich im spiegel sieht und das gesicht nur scharf unter der verschwindenen schrift erscheint?
ein anal-frühkindlicher präkoitaler fetisch-PID (kondensstreifen, finger, messer, himmel, hauch usw.)?
lit. erschaffung mittels denkfigur oszillierender aspekte , z.b. hase-ente-kopf (siehe wittgenstein nach jastrow, tractatus s.520)

jedenfalls korrespondiert es mit dem schimmel (siehe oben).

vielleicht kann mir jemand hilfreich unter das weiße damit schwärzen.

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Alban Nikolai Herbst

26. August, 2009 um 23:53

@wolf schwarzkopf. Das Problem setzt sich fort: „kann mir jemand unter etwas schwärzen“ – das ginge allenfalls mit einem Objekt.
Deshalb, Herr Schwarzkopf: Ich würd (und werde) erstmal sagen wir hundert Seiten laufen lassen. Im Zweifel, immer, für das Buch. Es gibt einige Bücher, die es fertigbrachten, aus Schrecklichkeiten Großartiges herauszuschlagen. Denken Sie einfach mal an Hans Henny Jahnn, zum Beispiel (für meinen Geschmack gehört auch Manns Venedigtod dazu). Außerdem gestehen wir ja auch – und haben recht damit – Mozarts Nozze einiges zu; es sind, wie Zadek einmal ganz wundervoll ausgeführt hat, stillschweigende Publikumsvereinbarungen. Ohne solche könnten viele Werke nicht existieren. Etwas, das sehr oft – absichtlich oft, mit Kalkül oft – vergessen wird.

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wolf schwarzkopf

27. August, 2009 um 11:12

genau, benutzen, nicht aber bezeichnen.
q.v. (object) „in absence of mention“
..hätte mich interessiert, schwer den passenden ort dafür zu finden.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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