Angeschlagen von den Ausführungen über das Regelwerk des Eschaton-Spiels (-Spiels? doch ja, es wird offenbar „gespielt“) und dessen ausufernde Handhabe, lief ich zum ersten Mal Gefahr, mit dem Seitenpensum in Verzug zu geraten. Noch dazu, da ich kurz darauf in die schleimigen Klauen eines grippalen Infekts geriet, in dessen ansteckende Fratze ich nach wie vor mit einem Auge schiele. Um mich aus seiner verschwitzten und gleich darauf fröstelnden Umklammerung zu befreien, warf ich alles Mögliche ein, das Fiebersenkung, Husteneindämmung oder Aussicht auf Atemfreiheit versprach. Geistig ging nichts mehr. Weder meine Tagebucheinträge noch legere Artikel im Lokalteil der Tageszeitung schienen Sinn zu ergeben. Zumeist verspürte ich bei jedem dritten Satz Kopfschmerzen, insbesondere sofern ich ihn in einen Sinnzusammenhang zu den beiden vorangegangenen stellen sollte. Vor Unendlichem Spass fand ich mich in diesen Tagen nicht aus eigenem Antrieb wieder. Von den Medikamenten jeglichen Willens beraubt, scheint mich der aufgeschlagene Wälzer gezwungen zu haben, mich weiterhin mit ihm zu beschäftigen, obgleich mir nicht einmal meine alltägliche Konzentrationsausrüstung zur Verfügung stand, um zumindest den Kopf über Wasser zu halten. Eigentlich hätte ich mich binnen weniger Seiten in fiebrigem Wahn von einem lodernden Kern ausgehend in schleimigen Brei verwandeln müssen. Aber siehe da: Plötzlich funktionierte die Lektüre wesentlich anschaulicher. In mir oder irgendwo, wohin auch etwas von mir reichte, entstand zu jeder Passage augenblicklich ein Bild, verschwand, wenn ich es zulange betrachtete, machte einem anderen Platz, das zu den nächsten paar Zeilen gehörte. Im Grunde warteten die Bilder immer schon auf mich, als befänden sie sich im Magazin eines cerebralen Diaprojektors. Wenn man leicht weggetreten ist, behindern auch die fulminanten Szenenwechsel kein bisschen. Es kommt einem so vor, als habe man jedes Mal bereits darauf gewartet. Alles scheint logischerweise … vielleicht nicht logischer-, aber auf irgendeine vegetative, undurchschaubar harmonische Art auseinander hervorzugehen. Darüber hinaus fühlt man sich den zahllosen Narkotikajunkies verbunden.
Jetzt brauche ich einen Schuss NeoCitran. Ich kann deutlich spüren, wie mir der Affe im Nacken sitzt. Nein, es ist eine hüstelnde Spinne, die ihr Netz aus schleimigen Fäden im Inneren meines Organismus geflochten hat.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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  • (ohne Titel) « VOCES INTIMAE: [...] aus Berlin zu sein, ist wohl nur für Berliner eine relevante Information. Like this:LikeS [...]
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