Klotz

25. August 2009 |

22. August 09
Komisch, dass es immer diese holzklotzartigen Bücher sind, die ich aus der Büchner-Buchhandlung mitnehme, die eigentlich gar nicht meine Hausbuchhandlung ist. Letztes Jahr war es Havemann, im Augenblick des Verbots, dieses Jahr ein ähnlich schweres, wenn auch weitaus besser ausgestattetes und sündhaft teures Buch, von weitem einem weißen Holzkasten ähnlich. Ich erwarte, an der Kasse einen Schlüssel dafür zu bekommen. Stattdessen steckt der Verkäufer ein Beiheft mit in die Tüte, Ich liebe Beihefte, das erste, an das ich mich erinnere, lag in der Ulysses-Ausgabe von James Joyce, ein Begriffserklärungsbändchen, leider habe ich es bei einem der vielen Umzüge verloren.
Auch bin ich fasziniert von den zwei schwarzen Lesebändchen.

24. August 09
Vorerst packe ich das Buch ins Gepäck und fahre mit G. raus in sein Sommerhaus. Als wir am versifften Bahnhof Gesundbrunnen vorbeikommen, sagt G.: „David Foster Wallace ist auch ein Amherst-Absolvent.“ Er sagt das, als spräche er von einem Kollegen. G. hat nicht ganz unrecht, er hatte vor drei Jahren ein Stipendium dort. Geblieben ist eine e-mail-Adresse. Wir leben drei Häuser voneinander entfernt, aber G.s Post kommt immer aus Amherst (und wird dort wahrscheinlich nach terroristischen oder päderastischen Gedanken abgescannt). Und übrigens, sagt G., da sind wir schon an der Osloer Straße, hat auch Dan Brown in Amherst studiert.

Zwei Stunden und fünf Staus später
Auf den alten Sommermöbeln, Blick auf den See. Sie knarzen, es wird ihr letzter Sommer sein. Erhöhter Schwierigkeitsgrad für mich ist, dass sich das Buch nur im Ruhepool lesen lässt, es ist zu schwer, um mit ihm mobil zu sein, es sei denn, ich benutze einen Rollkoffer. Aus diesem Grund ist der letzte Pynchon noch nicht ausgelesen. Wie schwer wird eigentlich so ein Lesegerät sein, wie immer es auch heißen mag?
Von hinten werfen die hohen Kiefern bizarre Schatten auf die Seiten des ersten Kapitels. Ich hatte im Beiheft etwas über Möbiussche Sätze gelesen und auf der Fahrt hierher, es war in der Bernauer, versucht, sie G. mit meinen Worten zu erklären. Auf den ersten Seiten gibt es diese Sätze nicht. Es fängt an wie ein Entwicklungsroman, ein hochbegabtes Jüngelchen droht an der Mittelmäßigkeit des Unipersonals zu scheitern. Ich denke über die Wortverbindung digestiver Geruch nach. Das Lesebändchen bleibt zwischen S. 14 und 15 hängen, weil K., der Gast des Tages, gerade Schwimmen war, vom See heraufkommt und G. und ich mit K. darüber diskutieren, ob es nicht an der Zeit wäre, mal eine Genealogie des DDR-Adels aufzuzeichnen, ähnlich wie die des Herzogs Ernst I. von Coburg-Gotha, dem Schwiegervater Europas, der mit seiner feudalen Heiratspolitik seine Hausmacht aufrechterhielt. An der Genealogie könnte man so einiges erklären, aber K. kann der Idee nichts abgewinnen, vielleicht weil er sich irgendwo auf der Ahnentafel wiederfinden würde.

Annett Gröschner wurde 1964 in Magdeburg geboren. Sie veröffentlichte Gedichte, Romane, Reportagen, Dokumentarliteratur sowie Rundfunkfeatures und lebt als freie Autorin in Berlin. Sie wurde unter anderem ausgezeichnet mit dem Anna-Seghers-Stipendium der Akademie der Künste Berlin und dem Erwin-Strittmatter-Preis des Landes Brandenburg. 2000 erschien der Roman „Moskauer Eis“, zuletzt – zusammen mit Arwed Messmer der Band „Verlorene Wege“ (Verlag für moderne Kunst Nürnberg 2009).

3 Kommentare zu Klotz

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Chrsitoph

25. August, 2009 um 12:17

Voriges Jahr der Havemann, den „letzten Pynchon“ noch nicht ausgelesen, Joyce mit Packungsbeilage, nun mit G. („auch ein Amherst-Absolvent“) am See, vorm Sommerhaus, auf „alten knarzenden Sommermöbeln“ und dann fallen auch noch die „bizarren Schatten der hohen Kiefern auf die Seiten des ersten Kapitels“ – wie immer es anderen beim Lesen Ihrer Notizen vom 22. und 24. August ergehen mag, werte Frau Groeschner, ich bin von derlei Tiefe und Stimmungsmalerei beeindruckt. Als dann noch „K – der Gast“ dem See entsteigt (wie der Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi kann es Ihnen ja nicht ergehen), da ist in Ihrem Ich-Land schon mehr geschehen als auf den ersten 50 Seiten des Buches, um welches es eigentlich geht. Fängt wahrlich gut an, bei Wallace.

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Svealena

25. August, 2009 um 12:56

Hmmmm, schon wieder : zwei Lesebändchen. Mein Exemplar hat nur eins. Das von Iannis Goerlandt auch, wie ich auf den Fotos sehen kann. Ob man die irgendwo nachkaufen kann? Wie Schnürsenkel? Oder ich nehme einen Schnürsenkel, entferne das schöne blaue Lesebändchen aus Lazarus (hat ausgedient) und ersetze damit den Schnürsenkel, der im Wallace liegt. Ja, so sollte es gehen.

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Hanna

25. August, 2009 um 14:34

@Svealena: Es gibt etwas ganz tolles: Lesebändchen, in verschiedenen Farben im 5-er Pack für 4, 95€ im Buchhandel ;) Halten toll, sehen super aus!
Mein Exemplar hat allerdings auch zwei…

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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