Nun h a t mich das Buch.
Vielleicht liegt es daran, daß ich mich erst einlassen mußte, weshalb ich so zauderig war, mich erst „einlesen“ – aber das widerspräche meiner Erfahrung (abgesehen von Büchern, in die man in bestimmten Lebensspannen nicht hineinkommt, aber plötzlich, Jahre später, sind sie da)… Jedenfalls, urplötzlich… gut, es beginnt mit einer Geschichte, Rollenprosa, ab S. 55, was bei Suhrkamp- und Schöffling-Büchern so gemeinhin die Seite 276 wäre, wenn man mal von der Satztype aus schließt… na egal, jedenfalls sagt Wardine, ihre Mama ist fies zu ihr. Nämlich nimmt Wardine ihre Mama Bügel zum Verdreschen des Mädels… ich meine, zugegeben, a) ist das unschön und b) werden die GottfriedseinePapas dann ein bisserl überstrapaziert, das hätt man schon bisweilen ausbremsen können, ohne daß die Rollensprache an Glaubwürdigkeit verloren hätte. So fühlt man sich, wie Adorno zu Wagners Leitmotivtechnik bemerkte, immer ein bißchen am Ärmel gezupft: „Du, das ist Rollenprosa.“ Nach dem zehnten Zupfen grummelt man, es doch bitte kapiert zu haben, nun hör schon mit dieser Zupferei auf… so wie dann Hal neben Mario liegt, paar Seiten später, und genervt vom dauernd gleichen Gefrage ist… springt man auf aus dem Bett auf eine Metaebene des Kunstverstands, die „die schlechte Stufe der Unmittelbarkeit“ ganz wider Absicht verläßt. Und es wird einem klar, daß das Notturno zwischen Mario und Hal ein stilistischer Kommentar zur Rollenprosa sein kann – jedenfalls ist es schlüssig so zu interpretieren. Da fängt dann meine Neugier an. Und läßt dann 50 Seiten lang plus acht Seiten „Katalog“ (Filmographie) in den Fußnoten hinten nicht wieder los; man hat ja schnell heraus, daß die Fußnoten selber Erzählung sind, nicht nur Einschübe… allein wenn sich „Unendlicher Spaß“ als ständig neu wieder aufgenommenes, ständig wieder verworfenes Filmprojekt James Incandenzas geradezu pochend, aber offenbar zerfallend durchs Werkverzeichnis zieht. Und erfreut sich nicht nur ungemein der >>>> Poor Yorick Entertaiment Unlimited, sondern den Kenner läßt sich Der Tod und das ledige Mädchen (Schwammerls Rache, kann man sagen) schadenfroh die Hände reiben, indes die paar der Konzeptkunst zugehörigen Filmprojekte, die, weil ihr Konzept „Unverfilmbarkeit“ war, unverfilmbar blieben, denn doch eher müde geulkt sind. Macht nichts. Es gibt weitere Funde in dem Cineasten-Homer, die vor Bitternis quietschen.
Ein bißchen störend an den Fußnoten ist, daß Kiwi sie als Anhang abgedruckt hat; da der Wälzer so schwer ist, behindert das Rumwuchten zu den hinteren Seiten den Lesefluß mehr, als hätte man die Fußnoten brav unten im Fließtext untergebracht. (Ich darf doch beckmessern, oder? Darf ich? – Danke.)
Aber weiter. Daß man geistesabwesend einen Tennisball knetet, den man aus Gewohnheit sowieso knetet, gibt außer Ulk nicht viel her; ärgerlicher ist es, wenn ein Vogel Knall auf Fall herunterplumpst, wozu dann obendrein Plop gesagt wird. Nö, echt nicht… zumal das dann ein Zaunkönig gewesen sein soll, ein runterknallender. Wer hat solch ein Tierchen schon mal in der Hand gehabt, so ungefähre Knall auf Fall runterknallende Kolibrigröße..? Plop aber, gut, mag angehen. Außerdem sitzt unser Held meditierend, aus Gewohnheit gewohnheitsmäßig den Tennisball knetend, mit einem Bein im Whirlpool und meditiert über Küchenschaben; wir sehn’s ihm deshalb nach, schließlich kifft er gern und intensiv, und ich denk mir, so als flashback ist ein herunterknallender Kolibrifall durchgehmäßig akzeptabel. Denn dann wird es richtiggehend gut, die ganze Schabenpartie hindurch, und hört gar nicht mehr auf, gut zu sein. Dazu gehört etwa, daß Wallace (Blumenbach) edle und umgangssprachliche Genitivformen verwendet; gleichzeitig (also von paar Seiten getrennt) gibt es Tassen Kaffees und Tassen Kaffee; prima. Dazu gehört besonders, daß jemand „unallein“ aufwacht, „wenn das Subjekt“ (besonders hinterhältig, daß er nicht „Objekt“ schreibt) „der vergangenen Nacht noch da ist“. Zur stilistischen Erklärung, weil Stil hier böser Rhetus ist: das Subjekt, grammatisch eh, wäre ja wohl e r; indem Wallace das verdreht, macht er das „Objekt“ nun ganz besonders zum Objekt. Das ist fein, wirklich fein in seiner ausgebufften Gemeinheit. Und fängt dann auch noch unvermittelt an, mich anzusprechen: „um Ihnen eine ungefähre Vorstellung zu geben“ – k e i n e Rollenprosa, Leser, sondern spöttischstes Autoren-Ich.
Und jetzt muß ich mich sogar >>>> dafür entschuldigen, bzw. einiges davon zurücknehmen. Was und wie nämlich jetzt von der Kifferei geschrieben wird, ist ungebrochen spannend, auch komisch, indem sich das innere Tunnel- und Dope-System in der untergründigen E.T.A.-Architektur nicht nur symbolisch, sondern eben auch ganz konkret symbolisiert. Solche Partien, S. 72 bis 79, sind Meisterstücke – die das übrigens auch wissen und deshalb gänzlich ungefährdet, wofür wir dankbar sind, schreiben dürfen: „Im Grunde ist der Gebläseraum nichts anderes als ein Pulmonalorgan (…), und wenn er in Betrieb ist, brüllt er wie eine keltische Todesfee, die sich die Tür in der Hand geklemmt hat.“ Wenn man jetzt ein bißchen mythische Bildung hat und weiß, woher Halloween stammt, wird die eine Seite später beginnende Erzählung von Don Gately, die mit einem Mord aus Dusseligkeit endet, aufs engste, nämlich über die Halloween-Masken der Einbrecher, mit der brüllenden Todesfee verknüpft, die sich eben auch aus Ungeschick, nicht mutwillig jedenfalls, die Hand gequetscht hat.
Heut war ich also glücklich mit der Lektüre. Auf das Traumszenario >>>> ist Krekeler schon eingegangen; dazu muß man nicht Weiteres schreiben. Und jetzt geh ich schlafen.

14 Kommentare zu Poor Yorick – alas!

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sinedi

2. September, 2009 um 07:21

Möchte mal Reklame machen für meine 5-minütige Video-Vor- bzw. Nachempfindung zum unrealisierten Film von JAMES O: INCADENZA:
INFINITE JEST
aus dem Roman von David Foster Wallace …
http://www.youtube.com/watch?v=PUJ8OFvaxZU

„Unendlichen Spaß“ dabei
sinedi

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Alban Nikolai Herbst

2. September, 2009 um 09:14

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sinedi

2. September, 2009 um 10:45

…also – soviel ich bis jetzt verstanden habe, werden die Fassungen immer nur erwähnt – nie tatsächlich beschrieben …
Aus diesen „Empfindungen“ habe ich eine Art 5.23-Trailer entwickelt bzw. nachempfunden, wenn ich in diesen hehren Germanistikkreisen so sagen darf …
Nich Mehr und nich Weniger …

Und trotzdem – auch damit
„Unendlichen Spaß“ – ohne abschließendes Dahinscheiden
wünscht SINEDI

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sinedi

2. September, 2009 um 12:19

Ach so – jetzt weiß ich wieder was ich gemacht hab: nen Video-Träler: Sozusagen nen „Abstract“ aller von DFW benannten „Infinite Jest“ Fassungen von James O. Incadenza … – ein Schnelldurchlauf der vielleicht bis zu 90 Minuten andauernden (?) Hauptfassung.
Das Material zum Video entstand in mir selbst bzw. kam mir hoch als Reflexion auf die Sinnierübungen zu den geschilderten belichteten Materialien.
Schon deshalb, und natürlich um die betonte finale Filmwirkung abzuschwächeln und möglichst zu umgehen: das Totlachen ist hierbei in 5.23 min. höchstunwahrscheinlich.

Überzeugen Sie sich selbst –
und Unendlichen Spaß onnoch damit
SINEDI

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JesusJerkoff

3. September, 2009 um 00:29

Herr Herbst,

gern würde ich Ihren Einwand:

„Ein bißchen störend an den Fußnoten ist, daß Kiwi sie als Anhang abgedruckt hat; da der Wälzer so schwer ist, behindert das Rumwuchten zu den hinteren Seiten den Lesefluß mehr, als hätte man die Fußnoten brav unten im Fließtext untergebracht. (Ich darf doch beckmessern, oder? Darf ich? – Danke.)“

zum Anlaß nehmen, zu fragen, inwieweit hier ein Autor eine Entscheidung treffen kann.
Ist das Herumwuchten eine bewußte, vertraglich festgelegte Wahl oder Verlagsabhängig. Vielleicht könnte einer der Moderatoren hier Auskunft geben.

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Guido Graf

3. September, 2009 um 08:27

Auch in der Originalausgabe von Infinite Jest gibt es keine Fußnoten, sondern eben Endnoten am Ende des Buches, und wir dürfen davon ausgehen, dass das alles so beabsichtigt war.

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Alban Nikolai Herbst

3. September, 2009 um 13:25

@Graf zu Jerkoff; @Jerkoff.

Einzusehen. Alleine, >>>> Goerlandts Überlegung hat ja ästhetische sowie praktische Folgen. 400/500 Seiten mehr macht ein Buch zu einem anderen, na sowieso, als es im Original ist, bzw. sogar: gewesen ist. (Ich denke einmal, es wäre am besten gewesen, den Fußnotenapparat als gesondertes Heftchen beizulegen; dann hätte man, ohne den Lesefluß deutlich zu stören, parallellesen können, etwas, das, so scheint mir, DFWs poetischem Ansatz durchaus nahe-, vielleicht sogar näherkommt als die jetzige Lösung. Tatsächlich weiß jedenfalls ich n i c h t, ob es so beabsichtigt war; bei allem „wir dürfen davon ausgehen“ wäre ich extrem vorsichtig.)

@Jerkoff. Nach meiner Erfahrung lassen sich auch Fußnoten in Romanen durchsetzen, da gibt es allenfalls Motzerei aus der Werbeabteilung oder von den Vertretern. Und nachher schimpft vielleicht die Kritik, der Buchhandel schimpft meist sowieso. Tatsächlich scheinen Fußnoten in keiner Weise beliebt zu sein, da kann z.B. eine Barabara Bongartz in ihren großartigen >>>> Örtlichen Leidenschaften die Fußnote zum eigentlichen poetischen Movens gemacht haben so schlüssig und geistvoll, wie sie nur will.

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Guido Graf

3. September, 2009 um 13:49

vorsichtig

naja, Alban, gerade die Örtlichen Leidenschaften machen ja auch das mit den Fußnoten, was DFW daran fasziniert hat: „almost like having a second voice in your head“ (DFW in einem Interview vom 27. März 1997). Gegenüber seinem Verleger Michael Pietsch, der auch seine Schwierigkeiten mit der Idee hatte, erklärte DFW das so: die Endnoten

“allow . . . me to make the primary-text an easier read while at once 1) allowing a discursive, authorial intrusive style w/o Finneganizing the story, 2) mimic the information-flood and data-triage I expect’d be an even bigger part of US life 15 years hence. 3) have a lot more technical/medical verisimilitude 4) allow/make the reader go literally physically ‘back and forth’ in a way that perhaps cutely mimics some of the story’s thematic concerns . . . 5) feel emotionally like I’m satisfying your request for compression of text without sacrificing enormous amounts of stuff.”

Demnach kann man wohl Absicht unterstellen. Interessant – und zwar in der ganz normalen Lektürepraxis wie in den Diskurseffekten – finde ich nun, was damit passiert. Aber dazu könnte vermutlich Iannis Goerlandt, der sich mit dem Thema schon ausgiebig beschäftigt hat, eher Auskunft geben.

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mischa gerloff

3. September, 2009 um 16:04

Das Einles/lass-Problem, das von manchen geschildert wurde, hatte ich erfreulicherweise nicht. Vielleicht, weil ich lieber sozialautistisch als partylabernd bin, hat mich bereits der Wahnsinn der ersten „Szene“ fasziniert. Wie Hal da sitzt und die Situation für sich sehr genau erfaßt; wie über ihn und mit ihm geredet wird und sich in ihm immer stärker das Wissen um das Scheitern mit einer ausbreitenden Panik verbindet. Für mich großartig geschildert.

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JesusJerkoff

3. September, 2009 um 20:19

@Herbst

Mit der Versicherung, daß es Endnoten sind und dem schwammigen „ausgehen, dass das“ war ich anfangs auch nicht ganz so zufrieden, aber jetzt bin ich so aufgeklärt, wie ich es sein wollte.

@Guido Graf

Vielen Dank für Ihre Bemühungen, als POK a.D. schätze ich Zitierbarkeit als Wahrheitsbeweis für eine Vermutung in allerhöchstem Maße.

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Alban Nikolai Herbst

4. September, 2009 um 07:14

Herr Jerkoff, was bitte ist ein POK a.D.? Ich kieg grad Musil auf die Zunge.

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Guido Graf

4. September, 2009 um 08:40

hier geht es auch um Subjekte

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mischa gerloff

4. September, 2009 um 10:31

@ABH: POK = PolizeiOberKommissar – tippe ich mal.

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JesusJerkoff

5. September, 2009 um 23:26

Sehr geehrter Herr Herbst,

da ich nicht weiß, wie sich Musil auf der Zunge anfühlt, aber jetzt hier nicht unbedingt einen Überkopfball machen möchte, weil Ihr Wikipedia anscheinend kaputt ist, bestätige ich die Aussage von Herrn Gerloff und ergänze es um ein „außer Dienst“.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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