Santa Maria

24. August 2009 |

Heute, am offiziellen Tag der Veröffentlichung dieses Buchs, habe ich lange in der Sonne gesessen, mit hochgezogenen kurzen Ärmeln, also schulterfrei, und habe, da ich auf die Zeitungen warten musste, in einem anderen Buch gelesen, nämlich in Hans Fallada: In meinem fremden Land, übrigens auch eine gute Darstellung von Paranoia in einem paranoiden Land, um nur das geringste zu sagen. In U.S. habe ich erst später wieder gelesen. Am Wochenende hatte es zahlreiche Besprechungen des Buchs gegeben, ich habe nur zwei davon gelesen, und kann nur eine weiter empfehlen, nämlich die von Ekkehard Knörer. Ich hebe einen Absatz hervor: „Was dabei herauskommt, ist ein Gesellschaftsroman als monströser Chor für emotional schwer beschädigte Stimmen. Das Bild der Gesellschaft, das im komponierten Durcheinandersingen des Individuenchors entsteht, ist darum selbst psychotisch, Ergebnis einer unkontrollierbaren, unendlichen Sprachproduktion. Auch und gerade die Politik ist fantastisch deformiert, die Fortsetzung eines James-Incandenza-Films mit möglicherweise nicht einmal anderen Mitteln.“

I Want To Tell You, drittletztes Stück auf Revolver, 1966. Einen ähnlichen Dialog habe ich neulich auch geschrieben:
– Und, wie ist die so?
– Ein Kind der Sonne. Schön wie ein erwachender Morgen.

Viel ist von der angeblichen Zukünftigkeit die Rede, dem Science-Fiction-Element in U.S., das sich besonders in den gesponserten Jahreszahlen und den anderen, neuartigeren Medien und Mediengeräten zeigt. Hier fangen aber auch die Probleme an. Man merkt eben doch, dass der Roman in den USA zum genau richtigen Zeitpunkt erschienen ist, während er hier und jetzt schon wieder etwas Historisches hat. Er ist ein Roman der Neunziger. In seiner Wirrnis, seinem Wahn, seinem Nerdism: Der Roman eines Nerds. Für Nerds. Aus dem Jahrzehnt der Nerds. Die Geräte: Das Mobiltelefon ist noch nicht omnipräsent, und hat noch eine Antenne; von Internet und E-Mail ist kaum etwas zu ahnen (behaupte ich jetzt mal). Es gibt einen Teleputer – vielleicht die Zusammenführung von Computer und Fernsehen, aber sicher bin ich mir da nicht. Und es gibt Patronen mit Unterhaltung, wo es heutzutage bald schon keine DVDs mehr gibt. Das Schwierige am SF ist also immer der technische Fortschritt, den man mit berechnen muss.

Übrigens sind meine Freunde und Bekannte eher „wuschig“ als „kribbelig“, wenn sie die Ankunft beispielsweise lang erwünschter Drogen erwarten. Ansonsten bin ich natürlich weiterhin sehr zufrieden. Mit dem Buch, mit der Übersetzung, mit allem. Liest sich toll. Meine letzte Zigarette habe ich übrigens am Sonntagmorgen gegen sechs Uhr geraucht. Bislang wenigstens. (Stand: S.55)

2 Kommentare zu Santa Maria

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Nikola Richter

24. August, 2009 um 16:26

Was sind denn bitte Patronen mit Unterhaltung? Sprechende, den Dialog anregende Tintenhülsen für den Füller? Oder schreibt der Füller von selbst immer weiter fort, wenn man sie einlegt? Sind das Patronen mit einer interessanten, also unterhaltsamen Aufschrift, damit der Schuss gar nicht losgeht, weil man so gut unterhalten wird? Ich sehe schon, der unendliche Spaß versteckt sich im Detail. Mein Thema gerade (dies zu SF in D): das papierlose Büro. Kriege ich einfach nicht hin. Wäre aber schön. Mehr Platz für Bücher statt für Aktenordner.

Hab ich etwa gerade ein Icon erfunden? D): Auf Entzug.

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Björn Schulz

25. August, 2009 um 17:00

Technische Entwicklungen korrekt voraussagen, das kann Niemand. Es hätte auch (für Literatur) wenig Sinn. Viel Sinn ergibt meiner Meinung nach aber, dass sich ein tödlicher Film auf einer „Patrone“ befindet. Mein Langenscheidt übersetzt cartridge eben mit : 1. Patrone (mil.). Auch im Original steht also ein Wort mit zweifacher Bedeutung,etwa Patrone/Kartusche. Das ist sicherlich die Absicht von Wallace. Eine gute Metapher auch für „geisttötende Unterhaltung“ finde ich.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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