Im Dezember 1991 erschien in Harper’s Magazine ein Essay von David Foster Wallace: TENNIS, TRIGONOMETY TORNADOES. A Midwestern boyhood.
In den Monaten davor hatte Wallace begonnen, an seinem zweiten Roman zu arbeiten, und dieser Essay ist der Text, der unmittelbar davor entstanden ist. Zu der Zeit lebte Wallace wieder in Illinois. Er unterrichtete an der Illinois State University in Normal. Im Herzen des Herzens des Landes, dort, wo er aufgewachsen war. Und der Essay beginnt damit, dass er Illinois verlässt, um nach Massachusetts zu gehen, nach Amherst, an die Hochschule, die auch schon sein Vater, der Philosophieprofessor, besucht hatte. Es geht auch gleich weiter mit Heimweh. Ein sentimentaler Essay scheint das zu werden. Doch dieses Heimweh, so erklärt Wallace, hat mit seiner Sucht nach Mathematik zu tun. Wir erinnern uns: in der Episode, die zweimal im Buch erzählt wird, wo der vierjährige Hal seiner Moms den angeknabberten Schimmelflatschen hinhält, beginnt die Moms kurz darauf nicht wild in Kreisen herumzulaufen und zu schreien, sondern sie rennt durch das Gartenrechteck, das mit lauter Begrenzungsschnüren für die Arbeit mit der Gartenfräse versehen ist, die von der Moms bedient wird, während James Incandenza im Haus ist. Und Orin, auf dessen Bericht sich Hal in der ersten Version am Anfang des Romans stützt und die dann als zweite Version später noch in einer Fußnote zu lesen ist, da er selbst keine Erinnerung an das Geschehen hat, betont, „dass ihre Fußspuren nach Art amerikanischer Ureinwohner schnurgerade verliefen, dass ihre Kehrtwendungen im Ideogramm der Schnur gestochen scharf und kriegerisch waren.“ Im Harper’s-Essay nun ist zu lesen, dass Wallace zwischen Vektoren, Linien und Querlinien aufgewachsen sei, in einem Koordinatennetz. In dem gleichen Raster vielleicht, wie dem, von dem Erzähler in der späten Erzählung „The Soul is not a Smithy“ (in Oblivion) berichtet. In Orins Endnoten Version, gegenüber Helen Steeply erzählt, hält die Moms dann, von Hal überreicht, auch keinen Flatschen, sondern einen „Schimmelrhombus“ in der Hand. Sie rennt los und Hal und Orin, damals dreizehn, taumeln zurück und erhielten ihren „ersten Vorgeschmack der Apokalypse …, eine Ecke des Universums wurde plötzlich abgeschält und enthüllte, was da knapp unter der Ordentlichkeit brodelte. Was direkt nördlich der Ordnung lag.“ Das Koordinatennetz wird noch weiter ausgesponnen und zum Labyrinth verwoben, als der Storch aus dem Haus tritt und „die Handflächen parallel zueinander und die Daumen waagerecht“ hält, „um einen Rahmen zu bilden,“ um (sich) ein Bild zu machen. Während dessen läuft Hal der Moms „innerhalb des Fadens“ nach.
Im Essay geht es weiter mit Tennis: mit einem Bericht über die Ranglistenerfoge im Juniorentennis. Das Heimweh in Amherst und auch die Jahre als vielversprechender Tennisjunior erklärt Wallace mit Mathematik. Wallace hält sich selbst für einen nicht wirklich talentierten Tennisspieler. Die Kriterien sind sehr ähnlich denen, die Orin veranlassen, die E.TA. zu verlassen und Punter im Football zu werden.

(Fortsetzung folgt)

3 Kommentare zu was am Anfang gewesen sein könnte 1

Avatar

Aléa Torik

14. November, 2009 um 11:00

Lieber Herr Graf,

sehr interessante Betrachtungen, die Sie da anstellen, zur Geometrie oder Trigonometrie von Anfang und Heimweh.

Ich bin leider noch lange nicht so textsicher, dass ich dieses Verfahren mittragen könnte. Aber es ist sehr aufschlussreich, dieses Verfahren, nämlich Textstellen miteinander zu konfrontieren und so fruchtbar zu machen. Einer meiner Lieblingsorte ist dieser hier, den ich auch schon vorgebracht habe, wo Wallace die Mathematisierung von Tennis beschreibt, im Rahmen von Unendlichkeiten oder Grenzenlosigkeit, eingegrenzt lediglich „von Talent und Imagination bei Ich und Gegner, auf sich selbst zurückgekrümmt durch die inkludierenden Grenzen von Geschick und Imagination, die den einen Spieler schließlich zu Fall brachten, beide vom Siegen abhielten und schließlich ein Spiel schufen, diese Grenzen des Ichs.“ (S. 119)

Was sind diese Grenzen des Ich? Ich meine das nicht nur in einem philosophischen Sinne, sondern bei Wallace. Was bedeutet es, wenn er hier schreibt, dass etwas auf sich zurückgekrümmt ist? Ist die mehrfache Wiederholung dieser von Ihnen beschriebenen Anfangsszene so eine Krümmung? Oder ist diese Krümmung genau das Gegenteil jener mathematischen Gradlinigkeit, die mit Worten wie Linie, Koordinaten Vektoren etc. beschrieben wird?

Avatar

Alex

21. November, 2009 um 22:59

Eine wichtige Frage: Was ist denn eine „Moms“??
Vielen Dank für Aufklärung!

Avatar

Guido Graf

21. November, 2009 um 23:54

das ist der Name, den im Roman die Incandenza-Brüder für ihre Mutter verwenden: familiärer Sprachgebrauch

Jetzt kommentieren

Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
Mehr zum Buch »
Termine zum Buch »

März 2024
M D M D F S S
« Mrz    
 123
45678910
11121314151617
18192021222324
25262728293031
  • TRIO 24: Ach du dickes Ding! | Sätze&Schätze: [...] Kapituliere ich ausnahmsweise vorzeitig, plagt mich noch lange, lange Zeit ein schlechtes Gewi [...]
  • Christian: Gibt es auch günstiger: http://www.amazon.de/gp/offer-listing/B005NE5TA4/ref=dp_olp_used?ie=UTF8 [...]
  • Steffen: Ja tatsächlich tolle Idee und schön umgesetzt. Das ist ein ziemlich vertrackte Stelle im Buch der [...]
  • (ohne Titel) « VOCES INTIMAE: [...] aus Berlin zu sein, ist wohl nur für Berliner eine relevante Information. Like this:LikeS [...]
  • VOCES INTIMAE: [...] aus Berlin zu sein, ist wohl nur für Berliner eine relevante Information. Like this:LikeS [...]