25./26. September

27. September 2009 |

12.30 Uhr. Kindergeschrei, Apfelsaftschorle. Spielplatz, Hamburg Volksdorf. Kitsch. Wirklichkeit ist ein Klischee. Blauer Himmel. Lauter Menschen, die Hartz IV für den norwegischen König halten. Vorgartenkies wie von der Zen-Buddha-Maschine geharkt. Wenn man nicht wüsste, was sich an der Shell-Tankstelle nachts um eins abspielt, könnte man DFW glatt für Lüge halten oder für weit weg. Die Mittelstands-Oberschichtkinder, die im US einen Großteil der Drogisten ausmachen, die gibt’s auch hier.
Das muss man auch erstmal hinbekommen. Auf 16 Seiten überlappen sich vier Geschichten.
Es wird Tennis gespielt. Es wird viel Tennis gespielt und völlig uninteressant Tennis gespielt: „Felicity Zweig, A-3 U14, führte mit 7:6 und 6:1 einen TAAZ gegen P. W.s Kiki Pfefferholt, während Gretchen Holt“ usw. usf. blaballbla. Da muss man durch.
Es wird Terror getrieben. Der Quebecoise Widerstand gegen Großamerika und seine allerliebsten Anschläge. Die Terroristen sind besonders einfallsreich, bauen Spiegel auf Bergstraßen, die brave US-Brauser derart irritieren, dass sie in den Graben rasen. Ein bisschen kindlich und kauzig ist das. Liefert aber ein grandioses Finale zum Rumkugeln.
Es wird wieder ein Teil der Exposition des Familienromans nachgeholt. Die Geschichte des Marion Incandenza. Wie es zu dieser Freak-Show in einer Person kam. Von der eher unappetitlichen Geburt bis zur Karriere als Produktionsassistent von El Storko, dem Großen Urvater der tödlichen Unterhaltungskanone. Lassen wir mal das Gesicht und die Gestalt des Gnoms mit dem Gigantoschädel beiseite, zitieren wir für das ganze Ausmaß der Quasimodänen Hässlichkeit nur seine Haare: „Hinzu kam das dünne, strähnige, schlaffe Haar, zugleich zerzaust und irgendwie zu glatt, das mit 18+ an einen gedrungenen achtundvierzigjährigen Streesingenieur, Trainer und Academy-Rektor erinnerte, der sich die Haare auf der einen Seite mädchenhaft lang waschsenließ und sie sorgfältig über die glänzende Jarmulke des kahlen, graugrün tingierten Skalps auf die andere Seite hinüberkämmte…“ Das muss reichen. Ich kannte mal einen Oboisten, der sah auch so aus. Aber die haben ja sowieso alle mindestens einen an der Schacke, die Oboisten. Anwesende mal ausgenommen. DFW gibt kapitale Kenntnisse in der Anbringung von Türen preis und erfindet eine Kamera, stilisiert Mario zu einem Hutzeljesus hoch.
Es wird weiter gequatscht in der Wüste unter einem Himmel mit einem leeren Perlmuttton. Marathe und Steeply, die Grotesktranse, streiten weiter. Allerdings befleissigt sich Marathe plötzlich eines kuriosen neuen Idioms, an das ich mich gar nicht erinnern kann. Allerdings geht’s um Unterhaltung. Und um die USA, „die für die so genannte vollkommene Unterhaltung, diesen Film, sterben würde – und die ihre Kinder sterben lassen würde, jedes einzelne.“ Die Unersättlichen, die keine Wahl mehr haben.
Ach ja, die Wahl. Ist morgen. Und dann sind sie wieder weg, die Merkel, die da verschämt aus ihrem großen Grasgrünen hervorlugt und Steinmeier („Unser Land kann mehr“ – als wer? Als Steinmeier?) und Netto-Brutto-Guido. Auf diese einschläfernde Unterhaltungspatrone hätten wir gut verzichten können.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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