„Jemand hat Ironie mal so definiert: Ironie ist das Lied eines Vogels, der seinen Käfig liebt. Der Vogel singt davon, wie sehr er sein Eingesperrtsein hasst, aber tatsächlich fühlt er sich ganz wohl in seinem Käfig . Und so kann Ironie in den USA heutzutage beides sein: ein Weckruf und ein Schlafmittel, das Dich einlullen soll.“ (David Foster Wallace)

Die „Proseminarfrage“, die ich ans Blog-Plenum hätte, wäre nun folgende: Werfen wir mal einen Blick auf Seite 199ff. (Schadensersatzleistungsforderung eines Maurers). Unverkennbar tragen hier die kuriosen Umstände der Verletzung des Maurers gewisse slapstickartige Züge. Von solchen Stellen – verdichtete und damit in ihrer Absurdität schon wieder lustige Brutalität / Grausamkeit – wimmelt der Roman (Höhepunkt später: Randy Lenz).

Ist das nun
a) ironisch
b) sarkastisch
c) zynisch?

Für mich führt diese Frage weiter: Wenn dieses Buch ein aufklärerisches Anliegen hat, moralisch sein und die erstarrten Ironiemechanismen demaskieren will – wird es in solchen Stellen nicht gerade Teil einer nicht ironischen, sondern zynischen Spaßgesellschaft? Der Haneke-Funny-Games-Effekt sozusagen (Ich zeige Euch, wie zynisch ihr seid, kann aber nicht verhindern, dass ich selbst dabei zynisch bin und führe mein ganzes Vorhaben damit ad absurdum). Wobei bei Wallace eben ständig dieser Slapstick-Humor mitschwingt, der bei mir ein ungutes Gefühl auslöst (von wegen: Eigentlich schrecklich, aber dann auch wieder amüsant).

Für mich persönlich, in dieser Masse und mit diesem humorigen Unterton: Kein Weckruf, sondern eben genau das: einlullend.

17 Kommentare zu Ironie, Sarkasmus, Zynismus?

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Iannis Goerlandt

1. September, 2009 um 12:03

Die Frage ist zweifelsohne berechtigt.

Allerdings schildern Sie das Beispiel nicht völlig korrekt, denn es handelt sich nicht ‚nur‘ um eine Schadensersatzleistungsforderung eines Maurers, sondern um die Betriebskultur, in der ein solch letzten Endes tragischer Fall als interner E-Mail-Witz herumgeschickt wird, wobei nicht nur die Verletzungen an sich als „Paradebspl. für dumm gelaufen“ genannt werden, sondern wobei die Rahmung auch die Absurdität der Versicherungsformulare angesichts der Tragik des Alltags („Kästchen Nr. 3“) und peinliche Diskrepanz zwischen den sprachlichen Bemühungen des Maurers, den angemessen ‚offiziellen‘ Ton zu treffen, und dem schroffen Ton von „murrayf“. Im Amerikanischen Original hört sich das „hört euch das an“ noch härter: „guys, get a load“ / „get a load:“.

Natürlich besteht die Gefahr, dass die Schilderung des Unfalls einfach als ‚humorvoll‘ herüberkommt, doch die Einrahmung ist da (und die Klammer wird sogar explizite geschlossen mit den beiden Kästchen: „endtransINTCOM626“) und soll auch mitgelesen werden: der Rahmen prävaliert. So betrachtet finde ich dieses Beispiel peinlich, und peinlich deswegen, weil mir klar wird, dass auch ich die Erlebnisse und der Schreibstil des Maurers lustig finde.

Irgendwie habe ich mich auch an Kafka erinnert gefühlt – aber das nur nebenbei.

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Jürgen Kiel

1. September, 2009 um 14:38

Das Ironieproblem scheint mir ein Kraftzentrum des Romans zu sein. Für diesen ist die Ironie im fortgeschrittenen Kapitalismus nicht mehr das kritische Sprechen, das sich z. B. einer Diktatur entgegen setzen kann.

Das ironische Bewusstsein weiß, dass die Beziehungen zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem von Menschen gesetzt werden. Dieses Wissen verleugnen Diktaturen und Dogmatiker aller Couleur, weil es ihre Definitionsmacht beschädigen würde.
In diesen Verhältnissen ist jede gut geschriebene Literatur, also eine sprachbewusste Literatur, immer auf der politisch richtigen Seite, auch wenn sie vordergründig apolitisch und gar nicht in einem „ironischen Stil“ geschrieben ist.

Die Kehrseite der ironischen Erfahrung ist die der „Uneigentlichkeit“: wenn mein Text etwas „Gemachtes“ ist, kann er dann mehr als nur „gutes Handwerk“ sein? Hat Literatur eine Bedeutung? In einer Diktatur stellt sich diese Frage nicht: Literatur wird illegal vertrieben, kommuniziert unter Eingeweihten, ist spirituelles Überlebensmittel. Keine Frage, dass sie Bedeutung hat!

Die Romantik, die geradezu als permanente Reflexion diese Problems gelesen werden kann, hat zwei Schriftstellertypen geboren: den Ironiker und den Sucher. Für den Ironiker ist das ironische Bewusstsein die selbstverständliche Voraussetzung authentischer Literatur.

Der Sucher will heraus aus der Ironie, er sucht eine „reine Sprache“, er will die Poesie wiederherstellen. Das Ideal der wieder zu erringenden Eigentlichkeit führt den Sucher zuweilen in politisch trübe Gewässer, und wo er Reinheit sucht, herrscht nur ein „Ausschluss der Anderen“. Dies ist die Welt eines Radovan Karadžić.
Prominenter Vertreter des zweiten Typus unter den zeitgenössischen Autoren ist für mich immer Peter Handke gewesen, der tapfere Fechter wider die Ironie.

Robert Musil hat sich diesem epochalen Problem mit seinem epochalen Roman gestellt: der erste Teil des Romans ist die Welt des Ironikers, die Welt wird in satirischem Stil reflektiert. Der zweite Teil ist die Welt des Suchers, ein endloses Bemühen um eine Sprache jenseits von Satire und Ironie.

Die Gefahren des Suchers sind „Edelkitsch“ und „politische Vereinnahmung“. Sein Vorteil: er ist gegenüber der Unterhaltungsindustrie besser abgeschirmt als der Ironiker. Der Ironiker hingegen muss sich (in der Demokratie, im fortgeschrittenen Kapitalismus) fragen, ob es für ihn überhaupt ein Jenseits der Unterhaltungsindustrie gibt.

Vielen ist das gleichgültig, sie wollen nur „gute Bücher“ schreiben. „Unendlicher Spaß“ ist das offensichtlich nicht gleichgültig. Der Roman ist zu „ehrlich“, um eine Sprache jenseits des ironischen Bewusstseins zu setzen: es gibt keine Reinheit. Aber er will auch mehr sein als „brillantes Handwerk“. Also dreht und wendet er sich, schlägt Pirouetten, simuliert Eigentlichkeit, verleugnet sie wieder, rüttelt an den Stäben des Gefängnissen und kommt doch nicht heraus.

Ein Einzelner kann natürlich die „Gesamtlage“ nicht ändern. Er kann sie „nur“, sofern er genial genug ist, „realistisch“ darstellen. Das ist für mich der Realismus von „Unendlicher Spaß“.

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Alban Nikolai Herbst

1. September, 2009 um 19:44

@Jürgen Kiel.
Dies finde ich einen ganz ganz spannenden Beitrag, zumal ich >>>> ausgewiesenerweise selbst scharfer Ironiegegner bin, was mich tatsächlich immer wieder mit den von Ihnen genannten (ästhetischen) Probleme konfrontiert, die ich manchmal (vielleicht) löse, oft aber wahrscheinlich nicht; das ist aber kein Grund, am Fetisch des Uneigentlichen, immer sozusagen halb Eingelassenen mitzuwirken und das Spiel der Disponibilität von allem und jedem mitzumachen (was übrigens der völlig berechtigte Vorwurf des Islams gegen den Westen ist: es ist ihm, außer dem Einkommen, in der Tat nichts heilig). Sie haben nicht nur recht zu fragen, ob es für den Ironiker überhaupt ein Jenseits der Unterhaltungsindustrie gebe, sondern es gibt tatsächlich keines. Von hierher war es so leicht, Unterschiede von U und E zu leugnen, was der kapitalistischen Verwertungstotalität restlos entgegenkommt.
Sie beschreiben ein objektives Dilemma, in dem sich die westlichen Gegenwartskünste und -künstler befinden. In Deutschland ist das aus nah-historischen Gründen besonders schwierig, weil, wann immer jemand tabuisierte Themen nicht-ironisch aufgreift (ich nenne zu dem von Ihnen genannten Handke noch Botho Strauß, vor allem aber Hans-Jürgen Syberberg), er geradezu sofort mit dem Faschismus-Verdikt niedergeprügelt und wenn nicht offen, so doch heimlich, aus dem Betrieb eliminiert wird. Daran tun fast alle mit, ob Lektoren, ob Verleger, ob Kritiker oder Kollegen. Hinterm Fetisch Ironie steckt Angst.

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Karl Mauch

1. September, 2009 um 19:45

Zu der Geschichte mit dem Maurer kommt hinzu, dass es sich um einen seit spätestens den 60er Jahren bekannten Sketch handelt, den Wallace nahezu wortwörtlich übernommen hat – es handelt sich also nicht nur um das Zitat eines Briefes, sondern um das Zitat des Witzes selbst: der auch in der Originalversion als Brief-Zitat aufgemacht ist.

Möglicherweise hat der Übersetzer die bekannte dt. Version direkt verwendet. In der DDR wurde dieser Sketch in der Kompilation „Lyrik Jazz Prosa“ publiziert (Wiederauflage als CD BMG 1995), die Aufnahmen verschiedener solcher (in der DDR ungemein populärer) Stücke versammelt – OTon Aufzeichnungen von Veranstaltungen Mitte der 60er Jahre, wobei Manfred Krug das hier als „Flaschenzug“ betitelte Stück spricht.

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Rapel Dringsdal

1. September, 2009 um 19:51

„Der Sucher will heraus aus der Ironie, er sucht eine „reine Sprache“, er will die Poesie wiederherstellen. Das Ideal der wieder zu erringenden Eigentlichkeit führt den Sucher zuweilen in politisch trübe Gewässer, und wo er Reinheit sucht, herrscht nur ein „Ausschluss der Anderen“. Dies ist die Welt eines Radovan Karadžić.“

Rassisten, Nationalisten, Faschisten sind alles nur keine Sucher, sie zerstören das suchen höchstens, von daher von Karadzic auf einen Sucher zu schliessen zeigt eigentlich alles, der postmodernen ist alles egal, hauptsache sie blubbert

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Rapel Dringsdal

1. September, 2009 um 20:00

Wenn einer auf Milosovics Grab nicht pisst, sondern eine glorreiche Rede über das vergangene Jugoslawien hält, dann darf man ihn vielleicht immer noch nicht Faschisten nennen, aber zumindestens einen Idioten.

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Alban Nikolai Herbst

1. September, 2009 um 20:14

@Rapel Dringsdal.
Damit haben Sie sicher recht, wobei Sie allerdings Serbien und Jugoslawien unangemessen verschleifen, vor allem aber die auslösende Rolle politischer Entscheidungen, etwa Genschers, für den dann gefolgten Völkermord ganz herausnehmen und, meine ich, auf Person verkürzen, was auf Interessen, also Strukturen, zurückgeht. Das „glorreiche Jugoslawien“ wird symbolisch wohl eher von Tito vertreten als von Milosovic. Für das Morden dann, zweifelsfrei, finden sich immer Handlanger, da muß man nie lange warten.
Dennoch, bei Against the Day wäre eine solche Diskussion möglicherweise am Platz, hier hingegen sehe ich nicht, wo sie dem Buch und seinen Themen angemessen wäre. Aber vielleicht kommt das ja noch.

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Rapel Dringsdal

1. September, 2009 um 20:49

Ja ja, der Genschermythos der Linken, die ich mal sehr gemocht habe, die Linken, aber das Gefasel was sie sich in Jugoslawien leisteten, das kaum Grenzen kannte, so meinte seinerzeit die Sprecherin der PDS „man müsse dass in Gorazde ausbluten lassen“.
Wenn Handke Jugoslawien betrauern will soll er ans Grab von Aleksander Tisma gehen und nicht an das Grab eines Nationalisten.
Sie haben aber Recht, das gehört hier gar nicht hin, schade drum. Ene Diskussion über das Versagen der Linken im ehemaligen Jugoslawien wäre mal etwas.
Der Genozid an der muslimischen Bevölkerung in Bosnien wird ja dort auch noch gerne bestritten.

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Stephan Bender

1. September, 2009 um 20:55

„Der Flaschenzug“ ist eine Geschichte aus „Briefperlen“ des französischen Autors Jean Charles. DFW hat nur die Geschichte verwendet.

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Alban Nikolai Herbst

2. September, 2009 um 00:47

@Rapel Dringsdal.
Ich bin imgrunde mit Ihnen ja einverstanden, allerdings habe ich „die“ Linken nie sonderlich gemocht, sie warn mir nur lieber als die Rechten (bei denen man komischerweise „die“ mit Recht schreiben kann; bei „den“ Linken ist das viel komplizierter), und die politische Mitte macht(e) mir unausgesetzte leise Verachtung. Aber das ist m e i n Problem – ein lächerliches, verglichen mit dem Genozid an muslimischen Bosniern. Nicht nur der Brunnen der Vergangenheit ist tief; wir müßten über Hegemonialinteressen und Energiebedarf reden, über die niedergeschlagenen Kurden, über die auch im arabischen Raum verachteten Palästinenser usw. Dennoch habe ich ein – ich muß das so ungefähr sagen – ahnendes Verständnis für Handkes Position, weil ich gut weiß, wie man in Extreme, die man eigentlich gar nicht im Sinn hatte, dynamisch hineingetrudelt werden kann. Auch das ist eine andere Diskussion; immerhin positioniert er sich, anders als die große Menge der westlichen Welt, die sich nahezu immer dort aufstellt, wo alle Ja rufen. Pop halt. Und, nicht zu vergessen: er hat keine Macht. Er ist kein Karl Kraus, der mit einem gutgesetzten Satz den Bürgermeister aus Wien treiben lassen kann. Er ist vielmehr, durch und durch, Poet. Ein falscher Satz, und er wäre einer der ersten gewesen, von Milosevic interniert, wenn nicht umgebracht zu werden. Er hätte diesen „falschen“ Satz gesagt, ich bin mir da sehr sicher.

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Jan Böttcher

2. September, 2009 um 09:38

@Jürgen Kiel
Danke, manchmal helfen auch die groben Einteilungen, auch ich kann die Conclusio in Ihrem vorletzten Absatz mitgehen. Dem unendlichen Spaß und auch Willen, sich Geschichten auszudenken, der unendlichen Geschichte also, scheint sich in DFWs Kopf ein mitunter ebenso großer Widerwille gegenüber zu stehen, den Spaß zu versprachlichen (und damit zu töten). Mir scheint dabei aber ein sehr genaues Bewusstsein vorzuliegen, wann er es sich erlaubt, in den Slapstick zu driften, eine Form/Sprache-Inhalt-Kongruenz so to say. Das ist packend, dennoch muss einem die Energie nebulös bleiben, mit der einer, der augenscheinlich jedes ernst gemeinten Undercover-Agenten-Dialogs überdrüssig ist, weil er tausend filmische und literarische Bilder und mehr dazu aufrufen kann, sich aufrafft, einen solchen Dialog dennoch zu schreiben. Insofern liest sich S. 127 ff. (Steeply und Marathe) wie ein Bohren in der offenen Versprachlichungswunde, wenn DFW sie Englisch reden lässt, obwohl es vielleicht auf Französisch besser käme, einer im Rollstuhl, einer verkleidet als Frau, von oben im Kaktus landend, die Laufmaschen zählend. Dazu auf den gut zwei Seiten, die die Szene einleiten, 13 mal (!) das Wort „Schatten“, sogar der „Brockengespenstschatten“ muss die zuvor beiläufig eingestreute Goethereminiszenz doppeln. Von der zunächst heraufbeschworenen Sonnenuntergangsschönheit bleibt nichts, aber rein gar nichts übrig. Bewusst üble Literatur. Als ich mich durchgekämpft hatte, wurde ich mit der Tennisacademy-Umkleidekabinen-Szene regelrecht versöhnt, ab 137 ff., da ist bloß noch der Stices Spitzname „Der Schatten“ übriggeblieben aus der Vorszene, aber die Erschöpfung wird greifbar, die körperliche und geistige Anstrengung, und man möchte am nächsten Tag sofort mit den Jungs auf den Court, Bälle dreschen (oder zumindest mal im Schiristuhl hocken). Daran dockt dann allerdings wieder an, dass die älteren Schüler gezwungen sind, ihre Erfahrungen vor den Jüngeren zu versprachlichen, womit das Elend wieder auf jenen Punkt begracht wird, mit dem das Buch ja bereits begann…ad infinitum

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Thomas von Steinaecker

2. September, 2009 um 09:39

OK, dann wissen wir jetzt, woher das Zitat des Flaschenzugunfalls stammt, das im Prinzip schon so ein Allgemeinplatz ist, dass es gar kein direktes Vorbild braucht. Schön. Nur: Was ändert das? Ist die Szene dadurch weniger zynisch? Wird dadurch wirklich der Zynismus der Gesellschaft auf eine Metaebene gehoben und gewinnt dadurch aufklärerisches Potential? Oder vielleicht sollte ich einfach ein anderes Beispiel suchen, das definitiv kein Zitat ist…Wie gesagt: Meiner Meinung nach wimmelt der Roman von solchen Stellen, die mir Tarantino-artiges Unbehagen bereiten.

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Alban Nikolai Herbst

2. September, 2009 um 10:00

@von Steinaecker: Danke für diese Wortprägung:: „Tarantino-artiges Unbehagen“. Sehr genau. Denn dieses „artige“ (endlich mal ein sinnvoller Bindestrich bei Composita) i s t „artig“: es legt den Finger genau auf die sich vor Massenmarkt und Hämebedürfnis dienernde Artigkeit, deren Mittelmaßes Anpasserei so widerlich wie ästhetischer common sense geworden ist.
@Jan Böttcher: „begracht“ – auch das ist prima, egal ob versehentlich zustandegekommen. Bitte nicht verbessern.

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Alban Nikolai Herbst

2. September, 2009 um 10:10

NACHTRAG, fällt mir grad auf: Gemeint ist natürlich das Unbehagen, das einen bei den Erzeugnissen Tarantinos befällt; „Tarantino-artig“ formuliert aber eigentlich ein Unbehagen, das einem solchen ähnlich ist, das Tarantino habe, also genau das Gegenteil. Nur nebenbei.

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Jürgen Kiel

2. September, 2009 um 11:32

Nachtrag zum Thema „politische Ideologen“: Ideologen wie Karadžić, der Verfasser nationalistischer Gedichte, sind natürlich keine „Sucher“, aber sie sind für diese gelegentlich deshalb anziehend, weil der Sucher der tendenziellen Beliebigkeit der Zeichen (der Ironie, dem „Westen“) entkommen will. Bewusstseingeschichtlich kann man die Abirrungen eines Ezra Pound, eines Gottfried Benn durchaus mit den faschismusähnlichen Widerständen des aktuellen Islamismus vergleichen.

Zum Ironieproblem: Gerade die besten Dichter haben immer wieder versucht, die Einsichten von Schillers Abhandlung „Über naive und sentimentalische Dichtung“ zu umgehen, um wieder „eigentlich“ sprechen zu können. Aber wir sind alle „sentimentalisch“, das heißt wir, Autoren und Leser der Moderne, lesen Texte „uneigentlich“, also als Texte.

Der einzige künstlerische Weg aus dem Dilemma der Ironien besteht m. E. darin zu versuchen, in der Reflexion der Reflexion eine Art neuer Eigentlichkeit zu erreichen (das Problem von Kleist). Diese Literatur ist allerdings (zurückhaltend formuliert) nicht gerade häufig zu finden.
Ich kenne ein paar Gedichte, würde aber auch gerne den Typus Jorge Luis Borges ins Spiel bringen.

Nach 300 Seiten „Unendlicher Spaß“ habe ich den Eindruck, eine Art „barocken Staatsroman der Ironien und Sprechweisen“ vor mit zu haben, eine (deshalb zuweilen ermüdende) Enzyklopädie des Ganzen als Form. Es ist schon großartig, andererseits irritierend „gegenwärtig“. Warum macht mich der „Ulysses“ glücklicher? Vielleicht, weil der „Ulysses“ nicht nur in die Breite geht, sondern immer auch in die Tiefe der Zeiten reicht, also noch so richtig altmodisch kulturkonservativ ist (wie ich, ahem).

Borges hätte mit „Unendlicher Spaß“ vermutlich seine Probleme (zu wenig leserfreundlich, nicht „einfach“ genug, nimmt sich zu wichtig).

Der Tarantino-Hinweis ist übrigens sehr treffend! Kunst sollte ein Spiegel sein, aber einer, der halb verhängt ist. Deshalb lieber: Tarkowskij.

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palamede

4. September, 2009 um 21:26

Ist das komisch? S. 199 – 201, Unfall.

Siehe auch YouTube: „Berufsgenossenschaft“, ein Herr erklärt, wie es zu seinem kuriosen Unfall auf der Baustelle kam; das Filmchen ist wohl drei Jahre alt. Seeehr mysteriös …

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Gabelstaplerfahrer Klaus

24. März, 2011 um 14:18

palamede… wie meinste das ?
ala Gabelstaplerfahrer Klaus oder wie ?

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Über das Buch

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