1. September

1. September 2009 |

Großraum, 12. Stock, letzte Arbeitswabe hinten links, gut gekühlt. Musik: Murray Perahias neue Bach-Partiten (samtpfötigst). Getränk: Gehtsokaffee. Wären alle Literaten der Welt gezwungen in Großräumen zu arbeiten, es würden keine Romane mehr gedruckt. Dabei ist der Kollege hinter der Wand gar nicht da.
Den Versuch, hier zu lesen, gebe ich auch gleich auf. DFW im Großraum, das ist wie späte Schubert-Sonate hören im Großraum. Man bekommt keinen ordentlichen Zusammenhang hin, alles zerbröselt. Höhepunktwahrnehmung geht gerade noch. Der Satz von Kate Gompert zum Beispiel „Holt mich bloß da raus“. Das große Rätsel jener magischen, geheimnisvollen und auf Endlosschleife gestellten TV-Patrone, über der erst der Gesundheitsattaché, dann seine Frau, dann immer mehr in eine Art Trance fallen.. Der grandiose Auftritt des alten Tennislehrers Gerhardt Schtitt und seine allgemeinmenschliche Philosophie des Tennis: „Die unendlichen Wurzeln der Schönheit des Tennis sind autokompetitiver Natur. Man bekämpft die eigenen Grenzen, um das ich in Vorstellung und Ausführung zu transzendieren. Im spiel verschwinden: Grenzen durchbrechen: transzendieren: weiterkommen: siegen. Deshalb ist Tennis im Prinzip ein tragisches Unterfangen, weiterzukommen und als seriöser ehrgeiziger Juniorspieler zu wachsen. Man will das begrenzte Ich, dessen Grenzen das Spiel überhaupt erst ermöglicht haben, bezwingen und transzendieren. Es ist tragisch, traurig, chaotisch und herrlich. So ist das ganze Leben für Bürger der Condition humaine: Die treibenden Grenzen liegen im Inneren und müssen wieder und wieder getötet und betrauert werden.“ Es sind solche Absätze, für die man auf die Kniebank niederfallen möchte, die dieses Buch ist. Oder die erschütternde Beschreibung eines Finalalkoholikers, der vor einer Klimaanlage sitzt mit einem Keksteller auf den Knien. Die Klimaanlage nie aus den Augen lässt. Und von ihr rundum unterhalten wird. Sätze wie: „Die knochigen Finger der Bäume hakeln im Vorbeigleiten Zauberzeichen in den Wind.“ Für die ein nochmaliger, täglicher Dank an Ulrich Blumenbach geht.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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