16. September

17. September 2009 |

Großraum. 11 Uhr. Lauwarmer Gehtsokaffee. Paul Hilliers Ars-Nova-Ensemble singt Tavener und Tudor-Music. Muss mich musikalisch auf Joelles erwartbares Ableben vorbereiten. Aber was ist das denn. Die Shortlist muss eine List sein. Eine Anti-Listen-Liste. Entweder ich lese jetzt schon überall DFW oder Joelle van Dyne hat denen was von den Krümeln abgegeben, die sie immer raucht. Andererseits: Man möchte sich die Damen und Herren nicht wirklich bekifft vorstellen. Kann man auch nicht. Das ist tatsächlich deren Ernst. Das einzige, was man tatsächlich sagen kann: Erwartbar ist anders. Aber sonst… Muss noch mal drüber schlafen.
Lassen wir das. Zurück zu Joelle van Dyne. Die ist ihrem Sterntaumelgang durch die Stadt und die letzte Party ihres Lebens jetzt in Molly Notkins Schlafzimmer angekommen. Dann im Badezimmer. Und auf einem Höhepunkt, wenn nicht dem Höhepunkt des Romans. Wie DFW hier herumschweift, von der geradezu quälend minutiös erzählten Vorbereitung zum finalen Inhalieren durch die Vergangenheit, durch das immer mehr sich verengende, auf den letzten Rausch zuspitzende Leben, die Räusche der JvD, das ist schon atemberaubend. Rauschhaft.
„Alles wird gut. Sie verdrängt all die erbärmlichen ,Das ist das Letzte, was ich riechen werde“-Gedankenschleifen.“ JvD, Madame Psychosis will sich Zuviel Spaß genehmigen. Das der Einlass in ihren Käfig war. Das große Geheimnis. Das große Symbol für die allumfassende Unterhaltung, die Sucht. Eine ziemlich erschütternde, irritierende Eloge auf die Wirkung von Crack, als Lieferant eines „inspirierten Orgasmus des Herzens“. Auf dessen Höhepunkt JvD Berninis „Verzückung der heiligen Theresa“ sieht. Wie DFW da von der Beschreibung der Plastik in der St. Maria della Vittoria von Rom ins Klo der Molly Notkins gleitet, ist grandios: „… die Beine der Heiligen in leichter Öffnung erstarrt, im Ausdruck des engels keine Barmherzigkeit, sondern das vollkommene Laster stachelspitzer Liebe. Der Stoff war nicht nur ihr einsperrender Gott, sondern auch ihr Liebhaber, teuflisch, engelhaft, aus Stein. Die Toilettenbrille ist hochgeklappt.“ Es wird einem geradezu schlecht, so unausweichlich treibt sie dem Zuviel Spaß entgegen. Erinnerungsblitze ans Kino mit Vatern, ihre Hand in seinem Schoß. „Unterhaltung ist blind.“ Keine Ahnung, wer hier erzählt. Ist ohnehin egal. Keine zwei Minuten mehr bis Zuviel Spaß. Die Herzexplosion kommt. Das Schönste Mädchen aller Zeiten (SCH.M.A.Z.) gleitet an der Wand herunter. Ich muss jetzt hier aufhören.

2 Kommentare zu 16. September

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Mark Z.

18. September, 2009 um 10:42

Dieses Kapitel fand ich extrem gut. Eben der poetische Beginn, abrupt unterbrochen von der Andeutung des Suizid-Hammers. Der Aufbau im Allgemeinen, der Stream der Partygespräche, und dann der verwobene „Abgang“.

Meiner Meinung nach finden hier auch zum ersten Mal etliche der bisherigen Storystränge zusammen: Orin und sein Umfeld, der Selbstmord des Vaters, die Filmografie, im besonderen ja US, die L.A.R.V.E., das Drogenhaus & die Drogenerfahrungen bilden ja eh den Rahmen.

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Clemens Setz

18. September, 2009 um 21:03

Joelle van Dyne (a.k.a. Madame Psychosis) ist für mich die vielleicht geheimnisvollste Figur des Buches, auch wenn das Kapitel über ihren Selbstmordversuch eher weniger geheimnisvoll ist. Aber zum Beispiel die Frage, was wirklich der Grund für ihren Schleier ist, ist für mich beim ersten Lesen nicht wirklich beantwortet worden. Diesmal werde ich mehr auf die Hinweise achten. Als junge Frau übt sie jedenfalls auf Orin (als, wie er es nennt, SCH.M.A.Z. – übrigens in der deutschen Übersetzung fast noch lustiger als das „PGOAT“, „Prettiest Girl of all Time“, im Original, btw – ist „pee goat“ irgendein Slang-Schimpfwort oder so?) eine ungeheure Wirkung aus, so sehr, dass er das Tennisspiel aufgibt und den schwierigen Weg in den Profifootball auf sich nimmt, nur um sie zu beeindrucken. Und sie ist die Darstellerin im Film Unendlicher Spaß (V), was noch ein weiterer, sehr deutlicher Hinweis auf ihre überirdische, hypnotische, direkt ins Nervensystem schießende Schönheit ist. Allerdings trägt sie nun mal diesen Schleier und an mehreren Stellen wird erwähnt, dass ihr Gesicht durch einen Vorfall in ihrer Vergangenheit (der, in der Logik des Buches, wann genau erfolgt sein muss?) verunstaltet ist. Sie erzählt Don Gately einmal, dass sie den Schleier nur als Verschleierung ihrer Perfektion trägt („to hide the hiding“, oder so, ich finde die Stelle im Augenblick nicht…)
Meine Freundin, der ich den ganzen Roman laut vorlese, hat zu Joelle eine ziemlich interessante Beobachtung gemacht. In der griechischen Mythologie gibt es die – nicht nur dem Namen nach an Madame Psychosis erinnernde – Figur PSYCHE, die so schön war, dass alle Männer sich von der Göttin der Liebe, Venus, abwandten und sich nur mehr für sie interessierten. Sogar Amor, der Sohn der Venus, der zu ihr geschickt worden war, um irgendetwas gegen ihre schädliche Wirkung zu unternehmen, verfiel ihr. Am Ende öffnete Psyche die Büchse der Persephone (nicht Pandora, andere Baustelle…), trug die darin enthaltene Schönheitssalbe auf ihr Gesicht auf und fiel in einen ewig andauernden Schlaf.
Vielleicht eine zufällige (aber was ist bei DFW schon zufällig?) Analogie, aber doch interessant, finde ich.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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