27. September

28. September 2009 |

18.30. Rameaus „Les Indes Galantes“. Kirschwasser. Die große Konvexität ist abgewählt oder wars eine Konkavität. Wurscht. Lieber lesen jedenfalls als Netto-Brutto-Guido durch alle Kanäle grinsen sehen. Ist es eigentlich schon kälter geworden in Deutschland? Zwanzig Jahre nach der Wende endlich wieder daheim. Zurück in die Zukunft. Muss dringend meinen Vater fragen, ob im Keller noch meine alte Parka-Jacke mit den Stickern hängt. Könnte man ja noch mal gebrauchen demnächst.
Gebrauchen kann man wahrscheinlich auch, was DFW in einer geradezu peinigenden Aussschweifigkeit ausbreitet. Es fängt ja sehr lustig an. Ein Satz über Frühpubertät (vulgo: juvenile Hirnlappeninsuffizienz), die ich Paule noch an den Kopf werfe, wenn es schlimmer wird mit ihr. „Kinder im Früheststadium von pubertät und abstraktionsfähigem Denken, wenn sich die Allergie gegen die einschränkenden Realitäten der Gegenwart gerade erst als eigentümliche Nostalgie gegenüber Dingen bemerkbar macht, die man gekannt hat“. Toll.
Aber darum geht es nicht. Wir sind am 8. November im Jahr der Inkontinenz-Unterwäsche. Interdependenztag. Und DFW holt noch eine Exposition nach. Wie das Eschatonspiel, das schon hin und wieder mal erwähnt wurde, vorbeistrich, über die Menschheit im Allgemeinen und die E. T. A. im Besonderen kam. Es geht um acht bis zwölf Leute, die mit 400 toten Tennisbällen auf riesigen Feldern sowas wie Weltkrieg spielen. Und mit meinem beschränkten Verstand stell ich mir das als eine Art „Risiko“ für Tennisspieler vor. Oder Schiffeversenken mit ultrahoher Komplikation. Jeder tote Tennisball steht für einen thermonuklearen Fünfmegatonnensprengstoff. Während DFW das Spielsystem ausbreitet – es liest sich leider ein bisschen so wie die aus dem Koreanischen ins Deutsche rückübersetzte Bedienungsanleitung eines amerikanischen Kühlschranks – hagelt es Abkürzungen wie Bomben. Manches wird direkt aufgeklärt: TAAZ = Totaler Atomkrieg zur Auslöschung der Zivilbevölkerung. Manches gar nicht AMNAT, SOWWAR, IRLIBSY. Das geht jetzt, seh ich gerade, noch über Seiten. Über viele Seiten. Über mehr als meine 16 Seiten. Dazu hab ich jetzt keine Geduld. Mir ist übel (Kirschwasser hat auch nix geholfen). Muss jetzt laufen gehen. Danke Guido.

5 Kommentare zu 27. September

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Stephan Bender

28. September, 2009 um 16:25

Die Idee ist so ganz neu nicht: Kinder spielen „Schiffe versenken“ auf kariertem Rechenpapier, Jugendliche treten in „World of Warcraft“ gegeneinander an, junge Männer treten in paramiltärischen Uniformen in Wäldern gegeneinander an und beschießen sich mit Farbpatronen. Franzosen zum Beispiel werfen statt Tennisbälle Eisenkugeln….
Und man denke an das wunderbare Spiel Schach, dessen Ziel es ist, den König des Gegners zu schlagen. Auch „Dame“ gibt es, und selbst beim kindlichen „Mensch-ärgere-dich-nicht“ geht es bereits darum, den Gegner aus dem Feld zu schlagen. Und es heißt nicht „Bemalte-Holzfigur-ärgere-dich-nicht“, sondern Mensch.

Was die Sache allerdings pikant macht, ist die Tatsache, dass tatsächlich eine Menge Amerikaner unglaublich paranoid sind. Ich habe einen ernstzunehmenden Architekten in New Mexico erlebt, der mir erklärte, die kleinen Aufkleber auf der Rückseite von Verkehrszeichen hätte die amerikanische Regierung für die Außerirdischen angebracht, falls diese irgendwo landen und ihr „Areal 51“ suchen. Mir klappte wirklich spontan der Unterkiefer herunter. 20 Monate später flogen Flugzeuge in das World Trade Center und er fühlte sich hundertprozentig bestätigt, wie er mir versicherte.

Was will uns so ein Genie wie DFW damit sagen? Nun, auch wenn man weiß, dass man paranoid ist, heißt das eben noch lange nicht, dass die anderen nicht hinter einem her sind.

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siehe auch: http://sitekick.s147.deinprovider.de/fun_box_compilation/1_picture/slides/2002_seyfried_the_complete_map_of_conspiration.html

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Guido Graf

28. September, 2009 um 16:44

gerne…

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JesusJerkoff

28. September, 2009 um 19:40

@ Elmar Krekeler

Meine Interpretation AMNAT: Amerikanische Nation. SOWWAR: Sowjetunion, „war“ selbsterklärend. IRLYBSY: Iran/Irak (wahlweise) Lybien, Syrien, fremdartig, weit weg, feindtauglich.

@ Stefan Bender

Jetzt werde ich selber zum Zitierheini: S. 88, bzw. Endnote 21, ergo 211: „Ja, ich bin paranoid, aber bin ich paranoid genug?“ Oder, in Abwandlung Ihrer Aussage: Auch Hypochonder können krank werden.

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ulrich blumenbach

29. September, 2009 um 19:53

Ich habe „SOWWAR“ bisher als „Sowjetunion / Warschauer Pakt“ verstanden.

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Iffland

30. September, 2009 um 11:43

@ Ulrich Blumenbach

…und AMNAT entsprechend als „Amerika/NATO“?

Im Übrigen kommt die ganze Eschaton-Geschichte tatsächlich etwas langsam in Fahrt, endet dafür aber ganz wunderbar chaotisch (wie hätte es anders sein können, ist das Spiel doch die Simulation eines komplexen Geflechts internationaler Beziehungen durch (post)pubertierende Jugendliche (und somit ziemlich treffend abgebildet).
Marios später beschriebener Marionetten-Film über die Entstehung der Konkavität (die ich noch immer nicht wirklich verstanden habe) fand ich da irgendwie ermüdender. Aber all diese Spiele/Filme haben doch bestimmt diesen „Hamlet-Theater-im Theater“-Bezug, oder? Wie auch immer…

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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