28. August

29. August 2009 |

Zu Hause in K. 19.35 Uhr. Die Motorboote gleiten nach Hause. Überm Fluss singt Udo Jürgens, dass er noch niemals in New York war. Musik: Hypocondrie für sieben Konzertierende von Jan Dismas Zelenkas (großartiger Komponist!). Getränk: Schwarzer Tee.
Wird nicht viel helfen für die nächsten 16 Seiten. Die Augen klappen nach innen, wann immer sie wollen. Die Nacht durchstehen auf der Autobahn kann ich doch nicht mehr so ab. Bin – aber das erwähnte ich schon – halt alt.
Orin Incandenza ist das nicht. Der hat andere Probleme. Der spielt Football. Ein tolles Talent. Aber mit gigantischen Schaben in der Wohnung, die hässliche Spuren hinterlassen, wenn er sie zu erschlagen versucht. Das Buch hat eine ziemlich eklatante wie eklige Insektenschwäche. Darf ich die Kafka-Keule auspacken? Schaben sehen Dich an. Insekten fressen Kindern die Schleimhäute weg.
Gott bin ich müde. Orin versucht sich an das „Subjekt“ zu erinnern, mit dem er letzte Nacht unallein war. Bei der Familie muss wohl ein derartiger Sozialschaden heraus kommen. Ausführlich wird ein foltergleiches Experiment mit einem Schizophrenen erzählt, das ekliger ist, als Schaben zerschlagen. Woher hat der Mann das nur? Zweite Frage: Will ich das so genau wissen?
Noch mehr Tee. Hilft alles nichts. Wir sehen Hal (jetzt 17 – gibt es eigentlich irgendeine verlässliche Chronologie in diesem Roman, gibt es irgendwas Verlässliches?) beim heimlichen Kiffen. Hal kifft, ich krieg Halluzinationen. Seh mich im eschergleichen Tunnelbau der Tennis-Academy, in der Hal seine Jugend verbringt. Und begegne Mrs. Avril Incandenza, der gruselige Über-Moms-Mutter des ganzen. Kein netter Traum. Sollte es sich bei diesem Buch (irgendwas hat Wieland erzählt von DFWs Mutter, was sehr passt) auch um so eine Jugendverarbeitungsliteratur handeln, wie sie inzwischen leider wieder überhand nimmt? Früher gingen die Jungs zum Therapeuten und ließen da viel Geld. Heute gehen sie zum Literaturagenten und kriegen viel Geld. Paradigmenwechsel! Ich geh jetzt nirgendwo mehr hin. Gute Nacht, geliebtes K. Gute Nacht, Udo Jürgens.

4 Kommentare zu 28. August

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Lou

29. August, 2009 um 16:50

@Elmar Krekeler

Die Antwort: Es ist der schwarze Tee, versuche etwas anderes: Seite 99ff. …

Wir haben bis hierhin vielleicht eine Art schonenden Kafka-Prolog gelesen; es ist das Kapitel um Kate Gompert, um das Zwischen“spiel“ (wir kommen darauf zurück) des Gesundheitsattachés und um Gerhardt Schtitt nach dem wir nicht mehr zurück können, wenn wir denn wollten.

Was passiert auf diesem etwa 23 Seiten umfassenden Spannungsbogen? DFW definiert atmosphärisch dicht und kumulativ die Pole, die uns – literarisch, poetologisch, menschlich – affizieren. Erinnern wir uns. Hal hat es formuliert, zu Beginn im »Prolog«, „Ich bin hier drin“. Die sedimentäre, einsame Feststellung im Jahr des Glad-Müllsacks, fokussiert auf die fragende Konstante: „Ja, Ich bin paranoid – aber bin ich paranoid genug?

Das Moment des „Ich bin hier drin“ wird zur treibenden Determinante; Kate Gompert übernimmt und konzentriert genau diesen Impuls in einer erneuten innerweltlichen, nie ankommenden Einsamkeit: „ich bin da gefangen drin, ich bin da drin.“ Und – es soll nicht mehr „wehtun.“ Mit dem „abschließende[n]“ „Und dann?“ bleibt alles offen. Das Spiel geht weiter, weil es – zumindest scheinbar – muss. Bis E(e)iner nicht mehr kann.

DFW geht einen Schritt weiter auf dem Spannungsbogen: Der Impuls des „Ich bin hier drin“ und „ich bin da gefangen drin“ erhält eine neue perspektivische Färbung – „Wenn da eigentlich gar keiner drin ist“ – dann? Dann kann (oder muss?) der euklidische Standpunkt aufgegeben werden. Die kürzeste Verbindung zwischen den Dingen ist nicht mehr die Gerade. In dem Moment hat DFW uns die zweifelhafte Sicherheit einer Ordnung genommen; wenn wir sie denn hatten. Der Prolog ist vorbei, das Spiel beginnt. Und es beginnt mit der ganzen Subtilität literarischen Potenzials. Auf der Projektionsfläche eines Tennisspiels und einer Sportakademie mit dem Namen E.T.A. entwickeln ein alternder Trainer und ein (vermeintlich) behinderter Achtzehnjähriger eine Art szenische Dialogizität der Dinge in der Frage nach dem »Spiel des Lebens«. Die Antwort von Schtitt formuliert den „Spielraum“ der Literatur von DFW: der „bellum omnium contra omnes“, Hals „schwarz gespiegelter Rousseau“, wird zum „Krieg des Lebens gegen das Ich“. Die Interferenz von Leben und Ich muss spielen: „Wir beginnen eine Art Spiel. Aber irgendwie bleibt alles spekulativ. Selbst das »wir« bleibt Theorie.“ (S. 99).

Louis Aragon zur „zweiten Frage“ – Will ich das so genau wissen?“, im Traité du style:

„Fürchten Sie keine Kopfschmerzen. Zunächst einmal würde das von recht wenig Mut zeugen. […]. Abgesehen davon, daß Sie dem Vergnügen – von der Befriedigung über eine erledigte Aufgabe wollen wir gar nicht erst sprechen – nicht mißtrauen, das im Inneren des Schneckenhauses auf Sie wartet, dort wo sich der verwirrte Sprachfehlerkrebs an der Seite der Zwergin Zweideutigkeit versteckt hat. Ich verlange, daß […] Bücher mit äußerster Strenge kritisiert werden, von Leuten, die sich auf diesem Gebiet auskennen, und die in Kenntnis der Grammatik und der Logik unter dem Rhythmus meiner Kommasetzung nach den Gedankenläusen auf dem Kopf meines Stils suchen. […]. Jede Zeile kann Ausgangspunkt einer Unmenge eng geschriebener Notizen sein. Jede Pause im Satz, das Fehlen einer Pause, die Wörter, das Gemurmel, die plötzlichen Sprünge, die Rückblicke, das Ausgedrückte und das Unausdrückbare. […]. Kleine Faulenzerin, geh mir doch weg. Gebt ihr Rotwein. […]. Worauf wartet man…?“

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René Hamann

29. August, 2009 um 22:07

„nach den Gedankenläusen auf dem Kopf meines Stils“: Sehr toll. Wer hat denn das übersetzt? Und wie heißt es im Original? Fragt, mit Gruß, RH

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Lou

29. August, 2009 um 23:36

@RH

„Ne craignez pas les maux de tête. D´abord ce serait montrer bien peu de courage. […]. Outre que vous ne soupçonnez pas les plaisirs, sans parler de la satisfaction de la tâche accomplie, qui vous attendent au fond de la coquille où se cache ahuri le pagure du solécisme à côté de la naine Equivoque. Je demande à ce que […] livres soient critiqués avec la dernière rigueur, par des gens qui s´y connaissent, et qui sachant la grammaire et la logique, chercheront sous le pas de mes virgules les poux de ma pensée dans la tête de mon style. Parfaitement. Chaque ligne peut servir de prétexte à une infinie quantité de notes en petits caractères. Chaque arrêt dans la phrase, et l´absence d´arrêt, les mots, les murmures, les soubresauts, les retours, l´exprimé comme l´inexprimable. […]. Petite paresseuse, va. Donnez lui du vin rouge. […]. Qu´attend-on…?”

Zugabe:

“[…]: bonheur est une idée limite qu´il faut laisser aux mathématiciens, et, aussi, vous ne savez pas ce que vous dites quand vous dites quatre. J´amorce ainsi l´exposé d´une théorie sur les parties du discours qui trouvera plus loin sa place. Je passe aux drogues.”

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Lou

30. August, 2009 um 08:00

Paul Celan zur (An)Forderung der Übersetzung:

„der […] Text will nämlich nicht nur übersetzt, sondern auch – wenn ich ein Heidegger-Wort mißbrauchen darf – übergesetzt sein.“

Es zählen „nicht nur die Zeilen, sondern auch die Ruderschläge“.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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