6. Oktober

7. Oktober 2009 |

23.30. Am Wasser. Grüner Tee. Das Emerson String Quartet spielt „Kunst der Fuge“. Ansonsten ists sehr still hier. Hab gerade fünf Buchpreisshortlister in 65 Zeilen erklärt. Samt Bibliografie. Müsste immer mehr essen, um noch die Energie aufzubringen, diesen Job noch lange toll zu finden. Das kann auf die Dauer nicht gesund sein.
Womit wir, hach, was für eine Überleitung, bei Hal Incandenza wären, der auch mehr Zuckerzeug in sich hineinstopft, als einem hoffnungsvollen Tennisspieler eigentlich gut tut. Noch schlimmer allerdings stell ich mir vor ist die Kontamination durch die Unterhaltungspatronen seines Vaters. Bin ich froh, dass ich „Medusa gegen Odaliske“ zum Beispiel mir nicht ansehen muss, „dessen plotloser Plo sich dergestalt zusammenfassen lässt, dass die mythische, schlangenhaarige Medusa, bewaffnet mit Schwert und blankpoliertem Schild, einen Kampf auf Leben und Tod oder Versteinerung gegen L’Odalisque de Ste. Thérèse führt, eine Gestalt aus der Quebecer Mythologie“.
Quebecer Mythologie! Dass die Kinogänger James O. „Er selbst der große Storch“, Incandenza nicht mochten, dürfte selbstverständlich sein. Noch mehr, sagt DFW, hassten sie ihn für „Der Witz“ mit dem Untertitel „Sie sind gut beraten, wen Sie nicht noch Geld dafür berappen, diesen Film zu sehen“.
Das ist lustig. Wer allerdings in den Achtzigern und den frühen Neunzigern im deutschen Theater und in der deutschen Oper gesessen hat, als das Regietheater ordentlich ausholte und gegen die Schienbeine der Bildungsbürger keulte, dem kommen des Storchen Strolchereien doch ein bisschen fade vor.
Halt. Er hat sich bloß lustig gemacht über die Kritiker. Das ist ja metameta. Huch ist das beziehungsreich, ich glaub… aber auch das ist schon ein ziemlich alter Scherz.
Jetzt werden wieder Meldungen zusammengeschnippelt. In Hals Höllenwelt scheint es ein gigantisches Müllproblem zu geben, vielleicht sollten wir Berlusconi hinschicken, der kennt sich mit superspaßigem Fernsehen, tödlichen Unterhaltungspatronen und Müllentsorgung aus. Außerdem wären wir ihn dann endlich los.
Der amerikanische Präsident gebärdet sich derweil wie ein Affe zwischen seinen und anderer Leute Minister (Hhhaaahh Hhhuuuuuhh). So stelle ich mir Kabinettssitzungen auch beim Präsidenten dessen Name nicht genannt werden darf vor. Es geht um Entgiftung und Entstrahlung ganzer Bundesstaaten und ökologische Wahlkreismanipulation. Das zumindest ist für 1996 schon ein bisschen visionär.
Marios Schnippselei geht weiter. Ich muss jetzt Bildunterzeilen schreiben über chinesische Kaiserinnen und Konkubinen. Hal, gib Zucker rüber!

4 Kommentare zu 6. Oktober

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Martin Jordan

8. Oktober, 2009 um 11:58

Infinite jest : weitere Anspielung ?

„In the London Newspapers dated March 22, 1768 appeared the following
brief announcement:

Died at his lodgings in Bond Street, the Rev. Mr. Sterne.
Alas poor Yorick! I knew him well; a fellow of infinite jest,
most excellent fancy, &c. , Wit, humor genious, hadst thou, all agree,
One grain of wisdom had been worth the three!“

aus: A fellow of infinite jest, Thomas Yoseloff

Wenn man bedenkt, wie wichtig der Tristram Shandy für die angelsächsiche Literatur gewesen ist, vielleicht kein Zufall ?

Link

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Stephan Bender

8. Oktober, 2009 um 19:54

Sekundärliteratur – Preisfrage: Aus welchem Buch, dass 1998 beim Verlag HarperCollins, New York, erstmals erschien, stammt folgendes Zitat:


Der Tag wird langsam blassblau, klar und kalt. Das Meer weit drunten unterhalb des Highways ist von einem matten Mitteiblau.
»Okay. Weißt du was, Hamilton? Ich stelle bei den Menschen von heute eine gewisse Härte fest. Die kleinen Momente der Albernheit, die uns durch den Tag geholfen haben, gibt es offenbar nicht mehr. Das Leben ist jetzt so ernst. Viel- leicht liegt es bloß daran, dass ich jetzt mit älteren Leuten zusammen bin.« Sie hebt ihren mageren Arm und knabbert an ihrem Finger, was für sie mit einer großen Kraftanstrengung verbunden ist.
»Ich meine, heutzutage hat noch nicht mal mehr jemand ein Hobby. Zumindest merke ich nichts davon. Sowohl die Ehemänner als auch die Frauen sind berufstätig. Die Kinder werden in Schulen und zu Videospielen abgeschoben. Es scheint auch niemand mehr ertragen zu können, einfach allein zu sein – aber gleichzeitig sind alle isoliert. Die Leute arbeiten viel mehr als früher, nur um danach nach Hause zu gehen, im Internet zu surfen und lieber E-Mails zu verschicken, als einander anzurufen, zu besuchen oder Briefe zu schreiben. Sie arbeiten, sehen fern und schlafen. So sieht es für mich aus. Die ganze Welt dreht sich nur um Arbeit: arbeiten arbeiten arbeiten abzocken abzocken abzocken …, Karriere machen …, gefeuert werden …, online gehen …, Computersprachen können …, Aufträge ergattern. Ich meine, so hätte ich mir die Welt einfach nicht vorgestellt, wenn du mich vor siebzehn Jahren gefragt hättest. Die Menschen sind ausgelaugt und wütend, geldgierig und der Zukunft gegenüber bestenfalls gleichgültig.« Sie schnappt nach Luft. »Und da fragst du mich, wie ich mich fühle? Ich fühle mich faul. Und langsam. Und uralt. Und ich habe Angst vor all diesen Maschinen. Das ist idiotisch, aber ich kann es nicht ändern. Ich bin nicht sicher, dass mir die neue Welt hundertprozentig gefällt.« Karen sieht, wie Hamiltons Kiefer sich verkrampfen.
»Ich weiß du willst von mir hören, wie großartig alles jetzt ist, aber da muss ich passen. Mir ist ziemlich klar, dass das Leben heute nicht so ist, wie es hätte werden sollen.« Sie passieren die Ausfahrten Cypress, Westmount und Gaulfield. …
Immer noch Berge und Meer. »Ich glaube, ich weiß, was du meinst«, sagt Hamilton. »Wenn man die Welt als Ganzes betrachtet, müssen wir zugeben, dass das Leben hier, wo wir sind, gut ist. Aber auf eine perfide, Twilight-Zone-artige Weise steht uns nichts anderes mehr zur Wahl. Früher gab es immer eine Boheme oder einen kreativen Untergrund, dem du dich anschließen konntest, wenn das Mainstream-Leben nicht dein Ding war – oder die Kriminalität oder sogar die Religion. Und jetzt gibt es nur noch das System. Alle anderen Optionen haben sich in Luft aufgelöst. Für die meisten Menschen heißt es: entweder das System oder was …, der Tod? Es gibt nichts. Es gibt keinen Ausweg mehr.«

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Clemens Setz

8. Oktober, 2009 um 21:32

Hm… Douglas Coupland, „Girlfriend in a Coma“ ?

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Stephan Bender

9. Oktober, 2009 um 09:56

@ Clemens Setz: Richtig! (Also der Clemens ist im Hirn richtig gut verdrahtet…!)

Und es geht weiter:

Hamilton fragt: »Was ist mit den Leuten, die du kennst – Richard, Wendy, Pam und mir? Welche Veränderungen hast du bei uns festgestellt?«
»Du meinst bei Freunden und Eltern?«
»Ja.«
Karen schildert ihm nur die schmackhafte Seite der Medaille. »Was mir auffällt, ist, dass sich niemand in den siebzehn Jahren wirklich verändert hat; alle sind bloß intensivierte Ausgaben ihrer selbst. Mom ist so … äh … feldwebelhaft wie eh und je. Dad ist nett, aber verschroben. Richard ist immer noch ernst und lieb, und er gibt sich solche Mühe. Du bist immer noch ein Flegel. Pam ist auf stille Weise schön. Linus lebt immer noch auf dem Mars. Und obwohl Wendy bereits Ärztin ist, denkt sie immer noch so, als würde sie Aufsätze schreiben und Einsen dafür bekommen. Alle sind, ja – mehr sie selbst geworden.«
Das Auto surrt dahin, und sie betrachten die Berge und die Stadt. »Wisst ihr noch, wie wir zum Future Shop gegangen sind, um eine Kamera zu kaufen?« fragt Karen. Die anderen nicken.
»Habt ihr die Kategorien gesehen, nach denen die Artikel dort sortiert waren? >SimulationProduktivitätSpiele<. Ich meine, was für eine Welt ist das bloß? Und sagt mir bitte mal, was mit der Zeit passiert ist? Niemand hat noch Zeit. Was soll das? Mist. Jetzt hab` ich schlechte Laune.«
Das heruntergelassene Fenster lässt den schwachen Industrie-Furzgeruch der Papiermühle in den Jeep. Karen zieht sich hinter ihre Sonnenbrille zurück. Sie verschweigt Hamilton, dass sie erwartet hatte, die Leute seien mit vierunddreißig Jahren erwachsen geworden. Statt dessen wirken sie bloß isoliert und ohne einen Kern, der ihrem Leben einen Sinn geben könnte.
Hamilton spricht weiter: »Und was ist mit deiner liebreizenden Tochter Megan?«
Karen lächelt: »Ist sie nicht supercool, Ham? So stark. So selbstsicher. Stell dir mal vor, mit siebzehn schon so ausgeglichen zu sein – wow.« Sie hält inne. »Na ja, in gewisser Weise bin ich siebzehn. Dann kann ich vielleicht doch so cool sein wie sie. Ja.«
»Ich glaube, du wirst älter sein müssen«, sagt Pam gähnend vom Rücksitz. »Die Leute erwarten von dir, dass du nach der langen Schlafenszeit weise geworden bist. Für die meisten Menschen bist du nicht mehr siebzehn – du bist tausend Jahre alt.«

Die Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel »Girlfriend in a Coma« im Verlag HarperCollins, New York
Quelle:
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Coupland, Douglas: Girlfriend in a Coma: Roman / Douglas Coupland. Aus dem Amerikan. von Tina Hohl. – 1. Aufl. – Hamburg: Hoffmann und Campe, 1999 Einheitssacht.: Girlfriend in a Coma ISBN 3-455-01174-8 Copyright © 1998 by Douglas Coupland Für die deutsche Ausgabe: Copyright © 1999 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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