Ich bin jetzt mit der ersten Seite fertig.

Vereinzelt wurde hier schon die Sorge geäußert, das neueste Ding von gestern vor sich zu haben. Das ist „Unendlicher Spaß“ zweifellos. Die Frage ist, ob der Roman noch mehr ist. Dass man ihm, vor allem in technischer Hinsicht, seine dreizehn Jahre anmerkt, spricht dabei nicht gegen ihn.

(Auch nicht der Jubel der Feuilletons. Vielleicht erinnert sich jemand, wie DFW vor ein paar Jahren in einem ahnungslosen, briefmarkenkleinen Verriss von „Kleines Mädchen mit komischen Haaren“ in einer großen Zeitung Rassismus vorgeworfen wurde. Aber das nur am Rande.)

Können wir einen Roman ernst nehmen, in dem Modems vorkommen? Dostojewski nehmen wir auch ernst, obwohl in seinen Romanen Pferde als Fortbewegungsmittel eingesetzt werden. Gilt das auch, wenn der Roman mit dem SF-Genre spielt? Ja. Auch Philip K. Dicks Romane sind als konkrete Technikvorhersagen heillos überholt, aber wer darüber hinwegsieht, bekommt etwas über unseren Realitätsbegriff erzählt, das über solche Details weit hinaus geht.

Apropos Details. Ich bin mir noch nicht im Klaren darüber, wie ich den Roman lesen soll. Wort für Wort oder einfach nur so weg. Bei Anwendung der Wort für Wort-Methode ergeben sich viele, zum Teil unerfreulich schwierige Fragen.

Das Problem mit dem Spaß zum Beispiel.

„Spaß“ statt „Jest“ mag aus so und so vielen Gründen richtig sein. Schön ist es nicht. In Jest sind Witz und Scherz zuhause, im Spaß Mario Barth. „Infinite Fun“ wäre, glaube ich, selbst DFW zu krass gewesen.

Im zweiten Satz steht „Meine Haltung kongruiert bewusst der Form des harten Stuhls“.

Hier fehlt nach meinem Gefühl derart schmerzhaft ein „mit“, dass ich zwei Tage nicht weiter lesen konnte.

Ich habe mit Germanisten und Mathematikern konferiert. Suggestivfragen habe ich sorgfältig vermieden. Keiner wollte der Meinung beipflichten, „kongruieren“ könne ohne die Präposition „mit“ verwendet werden. Richtig sei also allein „kongruierte mit der Form …“

„Der obere und untere Rand bilden die Seitenlinien.“ Muss es nicht entweder heißen „Oberer und unterer Rand bilden die Seitenlinien“ oder „Der obere und der untere Rand bilden die Seitenlinien“? (Weil der obere und unter Rand ja nur ein Rand wäre, der dann die Seitenlinien bildet …)

„ … vergänglich ist wie eine Prägung in unnachgiebigem Material“

Das ist ein schiefes Bild, denn eine Prägung in unnachgiebiges Material ist nicht vergänglich sondern unmöglich und bleibt deshalb unsichtbar. Im Original ist das Bild wohl richtig: Das von DFW gebrauchte „uncooperative“ erscheint vager als das deutsche „unnachgiebig“, bedeutet eher „ungeeignet“, so dass man den Abdruck zwar sieht, der dann aber wieder verschwindet.

Undsoweiter. Ich weiß, das liest sich jetzt etwas verbohrt, aber es ist doch nicht unwichtig. Ich frage mich ja auch, was remingtonbehängt heißt und ein Kekuléknoten sein könnte, aber dafür gibt es Quellen.

Vielleicht sollte ich das aber besser ganz schnell lassen und einfach Spaß haben wie alle. Mir den Film ansehen …

18 Kommentare zu Das Problem mit dem Spaß

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Mark Z.

26. August, 2009 um 12:55

Ich finde die Übersetzung sehr gut und sehr schön zu lesen. Freue mich aber auch, wenn das nicht sehr Gute ebenso benannt wird. Also meinetwegen: Weiterhin die Ausnahmen der Regel zeigen.

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Michael Ott

26. August, 2009 um 12:59

Ein wenig Vertrauen in die Übersetzung sollte man schon aufbringen. Das bewusste ‚kongruieren‘ ist eine Tätigkeit; ein „kongruiert mit“ klänge passiv und wäre eine schlichte Beschreibung, die hier offenbar gerade vermieden wird. Der Vergleich der Brillenränder mit Seitenlinien eines Tennisplatzes ist Teil einer leicht elliptischen Assoziationskette. Ein „unnachgiebiges Material“ kann meinem Sprachempfinden nach auch ein Material bezeichnen, das kaum nachgibt. Ansonsten bräuchte „unnachgiebig“ ein Adverb, z.B. „völlig unnachgiebig“.

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Mindy Metalman

26. August, 2009 um 13:08

Diese Detail-Anmerkungen sind in der Sache sicher richtig (uncooperative = [?] unnachgiebig etc.), trotzdem kommt mir diese Art Übersetzungskritik immer ziemlich niggelig vor.

Was wissen wir, wenn wir das geklärt haben?

Eigentlich doch nur, dass man Übersetzern nicht verzeiht, womit „richtige“ Autoren locker durchkommen. Ich wüsste jedenfalls nicht, dass bei so genannten Originalen jedes Wort derart auf die Goldwaage gelegt würde. Das künstlerische Wort ist beinahe unantastbar, die Entscheidung eines Übersetzers immer zu hinterfragen. Und kritische Zeitgenossen gibt es genug. Ebenso wie es Leute gibt, die Verlage brieflich und in aller Ausführlichkeit auf Druckfehler hinweisen und von „Skandal“ sprechen und davon, dass Bücher „heute ja gar nicht mehr lektoriert“ werden. Was soll dieser Kleinscheiß? Habt ihr keine anderen Probleme — bei diesen Buch?

Von einem gewissen Punkt an geht es dann nur noch um Geschmacksfragen.

Ehrlich, mich nerven solchen Meinungsäußerungen, die sich immer so breit machen, als hätte der Betreffende etwas wirklich Bedeutendes mitzuteilen.

Untersucht doch mal die wirklich wichtigen Sachen, die Sprachebene einer Figur zum Beispiel. Oder seine Syntax in Englisch-deutsch-Vergleich. Meiner Meinung nach DAS Wallace-Phänomen. (Wenn ihr nicht weiterkommt, ich erklär’s euch mal bei Gelegenheit.)

Ist allerdings nicht ganz so einfach. Vor allem braucht man, wie gesagt, einen hochdrehenden Motörhead und nicht nur ein Lexikon.

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Guido Graf

26. August, 2009 um 14:50

Ehrlich, mich nerven solchen Meinungsäußerungen, die sich immer so breit machen, als hätte der Betreffende etwas wirklich Bedeutendes mitzuteilen.

ich glaube nicht, dass Georg Oswald in irgendeiner Weise versucht hat, sich breit zu machen – die Antwort von Ulrich Blumenbach spiegelt das, glaube ich, auch ganz gut wieder – Übersetzungskritik (finde ich jedenfalls) gibt es leider viel zu wenig – was auch damit zu tun hat, dass die Kritiker oft nicht über das dazu notwendige Sprachwissen verfügen – und: Übersetzungskritik kommt nicht ohne Details aus – und da Georg Oswald alles andere als schulmeisterlich daherkommt, sondern eher angemessen der offenen, diskursiven Form eines solchen Blogs, kann man anhand solcher Beispiele, Anmerkungen und ihrer Widerlegungen einiges lernen: zum Beispiel wie detailgenau Wallace gearbeitet hat – und auch Ulrich Blumenbach –

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Mindy Metalman

26. August, 2009 um 13:18

Ach ja, ich hab was vergessen.

„remingtonbehängt“: Frederic Sackrider [sic!] Remington, amerikanischer Maler, berüchtigt für seine Wildwest-Schinken.

Das passt doch, oder?

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3c/Frederic_Remington00.jpg

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Jan Böttcher

26. August, 2009 um 13:24

Kann jemand den zweiten Satz des Buches im Original einstellen?

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Mark Z.

26. August, 2009 um 13:49

Nun, da das ja ein Blog ist, der sich mit Themen im und um U.S. auseinandersetzt, finde ich den Post sehr passend. Unpassend fände ich „Grauzonen“, die man nicht ansprechen darf. (Eben Detailfehler einer hervorragenden Übersetzung z.B.) So kommen dann auch gute Erläuternde Kommentare zustande, wie der zum Wort „kongruieren“.
Das andere Themen wichtiger und präsenter sind, heisst für mich nicht, dass solche Seitenthemen keine Berechtigung haben. Auch muss man dann nicht gleich auf die vermuteten Motive des Blogwriters sch(l)iessen.

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NP

26. August, 2009 um 14:07

Bitte sehr: „My posture is consciously congruent to the shape of my hard chair.“

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ulrich blumenbach

26. August, 2009 um 14:24

„kongruieren“ ohne „mit“ ist eine ältere Verwendungsweise, die in Wörterbüchern so gern als „bildungssprachlich“ charakterisiert wird: „Analog dazu kongruiert der rein innerweltlichen Leistung zwar ein innerweltlicher Lohn (…)“ (Christian Tornau, „Zwischen Rhetorik & Philosophie“, de Gruyter 2006, S. 314). Ähnliche Fälle wären „oktroyieren“ (statt des heute grassierenden „aufoktroyieren“) und „Ich wurde von Prof. XY promoviert“ statt des heute geläufigen (und früher als falsch geltenden) „Ich habe bei Prof. XY promoviert.“ Ich habe mich sehr gefreut, Hal durch die alte Verwendung des Verbs schon im zweiten Satz als hochreflektierten Sprachnutzer darstellen zu können.

Im Original, lieber Herr Böttcher, lautet der zweite Satz des Romans: „My posture is consciously congruent to the shape of my hard chair.“

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Michael Ott

26. August, 2009 um 15:00

Ich muss zugeben, dass die Erläuterung von Ulrich Blumenbach überzeugender klingt als meine. Das englische Original habe ich nicht vorliegen, es würde mich jedoch nicht überraschen, wenn die Alliteration („consciously congruent“) in den ersten Satz gewandert ist („Körpern und Köpfen“). Aber ich will hier nicht spekulieren…

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Stephan Bender

26. August, 2009 um 15:35

Oh, deutsche Krämerseele! Vielleicht geht es ja auch ein bisschen weniger pathetisch?

Mich hat schon immer fasziniert, dass Übersetzer nicht nur den Text transformieren können, sondern auch noch den Ton und die Stimmung treffen, der das unterstreicht, was der Autor erzählen will. Unvergesslich sind für mich der „Fänger im Roggen“, „On the road“ und später „Generation X“, an deren Originalen ich gescheitert bin.
Und es erinnert mich an meine Jugend, in der ich versuchte, die Texte von „Flash and the Pen“ zu übersetzen. Zwei Wochen saß ich da und grübelte, warum jemand nachts bei Regen deprimiert in seiner Küche saß und an einem Haken hängen wollte. „…hanging on a hook…“ sagte mir später jemand Kundiges, bedeute aber vermutlich, in der Falle zu sitzen. Nie wieder habe ich seitdem behauptet, ich wüsste etwas besser als ein Übersetzer.

An Ulrich Blumenbach ein großes Lob! Der unendliche Spaß kommt wirklich herüber und ich bin mir sicher, an diesem Original wäre ich auch gescheitert.

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Mindy Metalman

26. August, 2009 um 17:34

@Stephen Bender

Zitat: „An Ulrich Blumenbach ein großes Lob! Der unendliche Spaß kommt wirklich herüber und ich bin mir sicher, an diesem Original wäre ich auch gescheitert.“

Wie, du auch?
Das wird Ulrich Blumenbach gerne hören. Jetzt seid ihr schon zwei Gescheiterte.

Ja, so ist das mit der Sprache (um die Diskussion mal abzuschließen). Wie schnell ist etwas passiert!

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Mark Z.

26. August, 2009 um 19:42

Da bewirbt sich wohl jemand hartnäckig um den Titel „Zynischte_r Kommentator_in“? Nur, weil jetzt auch andere den langgehüteten Geheimtipp entdeckt haben? Lassen wir doch den Besen im System.

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Heide Witzka

29. August, 2009 um 12:09

@ ulrich blumenbach
„Ich habe mich sehr gefreut, Hal durch die alte Verwendung des Verbs schon im zweiten Satz als hochreflektierten Sprachnutzer darstellen zu können.“

Oder als ebenso prätentiösen wie manierierten Quatschkopf.

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kopfpilz

29. August, 2009 um 17:18

@ Heide Witzka

Das ist ein grundlegendes Problem, liebe Heide, oder auch: lieber Heide. Wenn der Diskurs, wie die Bezeichnung hier bereits mehrmals lautet, so an der Oberfläche kratzt, dass man überall hin kommt, dann lässt sich trefflich und vortrefflich Beliebigen. Einzige Einschränkung ist die keiner Weise begründete Vorgabe der positiven Tendenz. Diese bleibt auch erhalten bei kurzzeitigen Gefühlen der Langeweile oder Müdigkeit. Und wo der Diskurs sich weitgehend erschöpft in der Beschreibung von Rahmenbefindlichkeiten, da ist die Nähe von (stellvertretend genannt:) RTL spürbar: Was haben Sie gefühlt, als Sie x und y (Hier käme eine Fußnote hin, wenn eine Fußnotenfunktion vorhanden wäre. Ist sie auch.)Punkt

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Heide Witzka

29. August, 2009 um 23:00

@kopfpilz:
Ähm, naheliegende Kalauer über bestimmte Pilze und deren fatale Wirkung auf so manchen Kopf (oder gar extensive Fußnoten zur Wirkungsweise und chemischen Zusammensetzung von z. B. psylocibinhaltigen Fungi) spare ich mir jetzt mal und frage statt dessen und der Einfachheit halber: Wie belieben Fragezeichen

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kopfpilz

30. August, 2009 um 08:43

@ Heide Witzka

„psylocibinhaltige Fungi“

bei uns in den Niederlanden sind sie als Lebensmittel und Genussmittel frei im Handel erhältlich.

Zum Belieben: Es wird nichts hinterfragt, es sei denn, ab und an mal gefragt, die Bewertungstendenz ist ohne Begründung positiv, wo mich interessieren würde, warum, der Diskurs erschöpft sich, wie andernorts von jemandem ähnlich beschrieben, in Skizzen, die uns der jeweiligen Leser Ich-Land näherbringen und sich überwiegend erschöpfen in Äußerungen zur persönlichen Befindlichkeit beim Lesen, oder Äußerungen zum Leseumfeld, die beide, so ein Beitrag, den ich jetzt nicht raussuche, für das Verständnis relevant sein sollen, aber doch nur – wie schreiben Heide Witzka in anderem Zusammenhang: – prätentiös sind und mich an Boulevardbeiträge im Privatfernsehen – eurem wie unserem – erinnern, schlussendlich aber vielleicht als gesammelte Eindrücke unter dem Titel „Künstler lesen Wallace“ in Buchform erscheinen, dies nicht bei Voland & Quist, sondern bei Kiepenheuer Satz Ende Punkt

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Martin Böhler

8. Juni, 2011 um 10:38

Wer IJ wirklich goutieren möchte, der lese es im Original. Mit dem Wörterbuch daneben und dem Daumen in der Übersetzung, als Verständniskrücke. Wer sich allein auf die Übersetzung verläßt, dem entgeht das beste an diesem Buch.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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