In der Nacht geht der Fernseher kaputt. Neunziger-Jahre-Ware taugt nichts. Im Nachtbus saß eine ältere Frau und zählte Zu- und Aussteigende mit. Die Sitzplätze waren alle belegt. Ich las in dem großen Buch und sehnte mich nach anderen. Ich habe schon andere bestellt. Tagsüber las ich das große Buch im Bett. Kleine Schläfchen überfielen mich bei bekannter Musik. Mir ist aufgefallen, dass ich inzwischen lache. An Stellen. Über den Humor der Figuren. Die sich über Gatelys Kochkünste, die etwa meiner entsprechen, lustig machen. „Randy Lenz erhebt in der Nordostecke seine Dose Tonic Water und sagt, bei Dons Essen lerne man das Getränk dazu erst richtig schätzen. Geoffrey Day meint, es sei doch mal eine erfrischende Abwechslung, ohne Völlegefühle vom Tisch aufzustehen.“ (S. 678 f.) Viele Seiten später die Mädchen in Avrils Büro, die auf die verklemmt vorgebrachte Frage, ob sie schon einmal sexuell belästigt worden sind, sich über herablassende Berührungen mokieren: „Ich kann das nicht ausstehen, wenn mir ein Erwachsener den Kopf tätschelt, wie wenn ich ein Schnauzer wär.“ „Der nächste Erwachsene, der mich entzückend nennt, der kann aber was erleben, in echt jetzt.“ (S. 742). Es gibt Gesten, die man nur noch ironisch kommentiert vollziehen kann: „Ich möchte dich einladen, dich hier auf meinen Schoß zu setzen, dann mache ich beruhigende Geräusche à la ‚Ei, ei, ei‘.“ (S. 754). Ich kann Aléa Torik nur beipflichten, in allem. Ein schöner, richtig guter Beitrag. Zwischen diesen humorigen Szenen gibt es das quietschende Heranrollen der Rollstuhlfahrer-Armee-Fraktion in diese Vorbude quebecscher Renitenz, in der vermutlich absichtslos eine US-Patronen-Kopie haust. Filmisches Erzählen, fiel mir dazu als Stichwort ein, sehr tarantinoesk. Wofür DFW am Ende gar nichts kann? Ob Tarantino Infinite Jest gelesen hat, liest, lesen wird? Wie wäre es mit einer Teilverfilmung, so einem vielstündigem Mammutwerk, gern mit Beteiligung verschiedener Regisseure, hallo Hollywood, hallo HBO? Ich lese weiter in dem großen Buch, es ist nicht so, dass es keinen Spaß macht, dass es nicht erhellend, aufbauend, schockierend, tröstend wäre. DFW kannte sich mit Geräuschempfindlichkeit sehr gut aus. Alles quietscht. Womit er sich ebenfalls gut auskannte: mit Verdauungsproblemen. Ich lese weiter, vergleiche mich, sehne mich nach anderen Büchern, normal.
(Stand: S. 765)

1 Kommentar zu Die Kochkunst der Gesellschaft

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Aléa Torik

16. Oktober, 2009 um 08:07

Lieber Herr Hamann,

Sie haben absolut Recht mit Ihrer Beobachtung, was die auditive Qualität dieses Textes betrifft. Da ist DFW sehr empfindlich. Und ich finde dort auch sprachlich ausgezeichnet. Gerade in so kleinen Miniaturen hat er ja ungeheure Qualitäten. Als Randy Lenz loszieht, um Tiere zu Tode zu quälen und er die erste Ratte mit einem schweren Stein erschlägt, da beschreibt Wallace das dabei entstehende Geräusch: „Der große Brocken landete mit der flachen Seite auf dem meisten von der einen Ratte und einem bisschen von der anderen. Ein fürchterliches Schnatterquietschen war die Folge gewesen, aber der größere Treffer auf der einen Ratte hatte auch ein sehr solides und vielsagendes Geräusch erzeugt, die akustische Kombination einer gegen eine Wand geworfenen Tomate und einer mit einem Hammer zertrümmerten Taschenuhr.“ (S. 779)

Auch hier macht Wallace wieder, was er so exzellent beherrscht: das Idiom einer Person nicht allein durch die direkte Rede darzustellen, sondern sogar den Erzähler diesen Zungenschlag annehmen zu lassen. Auch das hat ja etwas mit Geräuschen zu tun, das Sprechen meine ich. Das wäre bestimmt sehr interessant, den ganzen Text einmal auf die akustische Qualität unter die Lupe zu nehmen. Obwohl man ja die Akustik unter der Lupe gar nicht sieht, wie mir gerade auffällt. Da gehen mir wohl die Bilder durcheinander.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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