Im Rückspiegel

15. November 2009 |

Seit einigen Tagen schon lebe ich ohne den US. Und es fehlt mir eigentlich nichts. Bis auf eine Antwort auf die Frage: Wie war’s denn nun so? Die will ich hier versuchen.

Was mir gefallen hat:

 US ist ein unterhaltsames Buch. Gelangweilt hat es mich nie. Das lag an der scheinbar unerschöpflichen Sprachakrobatik und der unendlichen Fülle der verschachtelten, teilweise auch nebeneinander her laufenden Geschichtchen und Geschichten.
 An einigen (wenigen) Stellen verdichtet sich der Text zu einer faszinierenden Intensität, Größe und Wahrhaftigkeit, insbesondere zwischen den Seiten 800 und 1100, wenn die vom Autor aufgebaute innere Distanz schwindet, so als habe er sie da gar nicht mehr nötig.
 US hat im Vater J.O. Incandenza einen beeindruckenden Charakter, einen hoch intelligenten, weit über den Tellerrand hinaus blickenden, kreativen Menschen, der allerdings an sich selber scheitert: Er ist unfähig zur Mittelmäßigkeit, zur Selbstbescheidung, unfähig auch zu ertragbaren zwischenmenschlichen Beziehungen. Ein in gewissem Maße „heroischer“ Charakter.
 Gately ist der Gegencharakter. Er ist fähig zur Menschlichkeit, stets auf der Suche nach Wärme und Geborgenheit, jedoch aufgrund seiner Herkunft mit so extrem schlechten Voraussetzungen zum Leben ausgestattet, dass er sehr früh in die Kriminalität abgleitet und da auch nicht mehr herauskommt. So ist auch er zum Mittelmaß nicht fähig – wenn auch von einer anderen Seite her als J.O.I.
 US ist auch eine bestürzende Reportage über die Realitäten im Leistungssport, über den damit verbundenen Stress, die nicht enden wollenden Entbehrungen und die Deformierungen, die angehende Athleten schon in jungen Jahren erleiden und zum großen Teil nicht unbeschadet aushalten. Ein Thema mithin, das in diesen Tagen ganz Deutschland bewegt.
 US ist eine immense, substantielle Kritik an einer sinnentleerten Gesellschaft, die ihren Individuen scheinbar nur noch die Flucht in die Selbstbetäubung erlaubt, während die maßgebenden politischen Lenker unter einer Glocke sarkastischer Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit agieren. Profit und Erfolgsgier haben die Götter ersetzt und zerstören die Menschen und ihre Umwelt. Statt einer Lösung, die in Form eines großen Knalls eine Befreiung aus diesem selbst gezimmerten Käfig hätte sein können, endet der Roman – leider realistisch – als individualisierter alptraumhafter Tagtraum.

Was mir nicht so gefallen hat:

 US ist nicht der vielleicht erwartete epochale Roman, vor allem weil er PARS PRO TOTO nimmt. Eine letztlich kleine gesellschaftliche Randgruppe wird als repräsentativ für das Ganze dargestellt. Andere gesellschaftliche Strömungen und Kräfte – als die in der Sucht Gescheiterten, die Erfolgsjunkies und die terroristischen Antipoden – treten fast überhaupt nicht in Erscheinung. Die Dialektik gesellschaftlicher Mechanismen, die immer eine Vielfalt individueller Erscheinungen kreiert, wird ignoriert.
 Die bisweilen bis ins Zwanghafte reichende Technik des Romans führt überraschenderweise auf Dauer zur Beliebigkeit: Man kann weiter lesen, kann es aber ebenso gut auch lassen. (In diesem Blog war zu lesen, dass man offenbar sogar mehrere Hundert Seiten schadlos überspringen kann!) Falls DFW diese Beliebigkeit als Grundthese in seinem Roman vermitteln wollte, als Grundgefühl für den Leser, so ist er dem eigenen PARS PRO TOTO-Nehmen aufgesessen.
 Gestört hat mich hier und da die ins Monströse gesteigerte Lust der Schilderung von an Grausamkeit kaum noch überbietbarer Sadismen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass dadurch die Intensität des Geschehens gesteigert, sondern dass sie eher gemindert wurde. Diese Passagen waren beispielhaft für das Zuviel, das die Distanz (manchmal bis zur Gleichgültigkeit) vergrößert und das, so hatte ich schon nach 800 Seiten vermutet, vor allem dem Autor dazu dient, durch eine Übersteigerung in die Groteske die (fiktive) Wirklichkeit besser ertragen zu können.
 Eine Entwicklung von Personen, von Charakteren, wie sie gewöhnlich einer Romanhandlung ihren Drive gibt, findet nicht statt. Der Leser erfährt zwar die Vorgeschichten vieler auftauchender Protagonisten, diese wirken aber durchgehend wie klinische Anamnesen, d. h. sie sind auf den Ist-Status zugeschnitten. Eine Ausnahme sind ansatzweise Entwicklungen bei J.O.I., Gately und bei Orin, die aber eher Nebenerscheinungen bleiben, den Duktus des Geschehens nicht bestimmen. US wirkt dadurch erstaunlich statisch.
 DFW stellt (aus meiner Sicht) im US verallgemeinernd sein eigenes Drama dar: das Drama eines Hochbegabten in einer Welt, die zwar unbegrenzte Möglichkeiten, ihm aber keinen Sinn bietet; dem Mittelmäßigkeit versagt ist; der (auch aus diesem Grunde) dem Zugriff der ihn einklemmenden Zange nicht entkommt, deren eine Klaue die depressive Verzweiflung ist, die andere Klaue die die Depression mildernden Substanzen (Drogen, Psychopharmaka).
 Dieser – im US auf viele Köpfe verteilte – „Opfer-Held“ erinnert in gewissem Sinne an Goethes Werther, der sich auch nicht im Mittelmaß bescheiden mochte. US bekommt dadurch geradezu einen idealistischen Zug.

Um es am Ende kurz zu sagen: In den (später publizierten) Erzählungen wie in „Oblivion“ und in den „Brief Interviews with Hideous Men“ hat mir DFW als Schriftsteller um Längen besser gefallen – und mehr mitgeteilt.

13 Kommentare zu Im Rückspiegel

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Stephan Bender

15. November, 2009 um 14:35

Stimme zu.

Auffallend ist noch, dass ein Wallacescher Intellektueller heute auf die Menschen blickt wie ein Biologe auf ein Rudel Wölfe im täglichen Überlebenskampf. Es findet nicht nur keine Entwicklung der Protagonisten statt, sondern es wird auch keinerlei gesellschaftliche Utopie entworfen.

Psychologisch könnte das heißen, das die Globalisierung bei den Menschen die Vorstellung auslöst, sie lebten in einer Art Zoo, der außer Selbstdarstellung keinerlei Möglichkeiten der Selbstentwicklung zulässt.

Das wirklich markante an diesem Buch aber ist, (daher ist das Werther-Motiv tatsächlich gültig), dass es keiner Erlösung bietet. Dieser Mangel an erlöserischen Motiven ist die eigentlich Botschaft des Buches.

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Mitleser kurz vor dem Ende (des Buches)

15. November, 2009 um 17:33

Die Zeit der Statements (vor dem Advent). Danke, Herr Wedler, nickte bei nahezu jeder Zeile. Bin gespannt auf weitere Zusammenfassungen.

Wir sind eben nicht (nur) alle gaga, sonst könnten wir den Ball ja gleich in den Kosmos kicken/schlagen/in die Luft pusten wie auch immer.

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Marc_o_brunn

16. November, 2009 um 18:11

Hallo Herr Wedler,

was die mangelnde Personenentwicklung angeht, muß ich ihnen widersprechen. Sowohl Gately als auch Hal machen eine deutliche Entwicklung durch. Gately hält sich eisern von Drogen fern und versucht seinem Leben durch seine Arbeit im „House“ einen gewissen Sinn zu geben. Auch seine Beziehung zu Joelle zeigt neue Facetten an ihm auf.

Es bleibt offen, wie diese Entwicklung bei ihm weitergeht. Das Buch wagt grade bei diesem Erzählstrang einiges indem bei Gately exemplarisch alle Fehler, die ein Süchtiger machen kann durchexerziert werden;- gleichzeitig werden aber auch alle einfachen, kausalen Erklärungsversuche für die Sucht abgeblockt. Die Suche nach Erlösung von außen läuft in’s Leere und wir können nur spekulieren, wie Gatelys Reise weitergeht (Auch wenn das „Zu Spät“ in seinem letzten Traum sicher in eine sehr negative Richtung zeigt).
Mir hat das Buch wegen diesen „interaktiven“ Elementen sehr gefallen und nachdem ich mit dem Werk durch war hatte ich ein ähnliches Gefühl, wie nach der letzten „Twin Peaks“-Folge. Lynch sagte zu dieser Mischung aus Trauer um das Ende einer Erzählung und der damit gepaarten Ungewissheit einmal: „Twin Peaks geht weiter, nur hält grade keiner die Kamera drauf“.
Zu Hal schreibe ich morgen noch etwas.

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NO

20. November, 2009 um 13:00

Lieber Stephan Bender,

ich danke herzlich für Ihr Amerikanisches Sprichwort (17. 9. bei Alea Toriks „Verschleierung“), das mir große Freude gemacht hat. achim szepanski hatte recht, Sie steuern Erhellendes und Interessantes bei (finde ich) und es macht mir großen Spaß, Sie zu lesen. Sie hätten nicht zufällig bitte das englische Original Ihres Sprichwortes?

Und ich hätte auch noch eine Verständnisfrage zu Ihrem schönen Kommentar zu Hans Wedlers „Im Rückspiegel“:

Sie und er haben sich höchst beeindruckt gezeigt von Alea Toriks Ausführungen zu „Verschleierung und Enthüllung“ und insbesondere zu ihren Überlegungen zur Unendlichkeit (Gleichzeitigkeit einander ausschließender Gegensätze, Ununterscheidbarkeit, Unsicherheit) als dem Schlüssel zu diesem Roman. Davon finde ich in seiner Zusammenfassung und Ihrem Kommentar nichts!??

Beste Grüße

NO

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Stephan Bender

21. November, 2009 um 22:42

@ NO:

Sorry, war ein paar Tage mit dem VW-Bus auf Sylt, daher offline und bin eben völlig eingedreckt, aber rotwangig und glücklich wieder in Berlin eingetrudelt. Die Menschen in Berlin sollte Madame Psychosis auch mal kommentieren, finde ich…

1. Das Original lautet „Beauty: If you’re attractive enough on the outside, people will forgive you for being irritating to the core.“

2. Die Ausführungen von Alea Torik sind beeindruckend weniger wegen der Romananalyse, sondern weil sie über eine wunderschöne Sprache verfügt, weil sie analytisch mit diesen Begriffen auf eine Art umgeht, dass man ihr eine große Kompetenz zugesteht und weil sie vor allem – für mich als liebender Mann beeindruckend – eine liebende Frau ist, die wesentlich mehr von der Liebe und damit vom Leben versteht, als 99,9% aller Mitmenschen von sich behaupten können.

3. Ich bin nicht so naiv, und werde Alea Torik einfach loben – dafür ist sie wirklich viel zu intelligent. Aber ich kann ihr versichern, dass es nichts Schöneres auf der Welt gibt, als dass ein Außenseiter in einer Hochzivilisation zur intellektuellen Hochform aufläuft. Ich meine damit, dass Alea Torik die Sorte Mensch ist, wegen der Männer versuchen, bessere Menschen zu werden….

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Stephan Bender

22. November, 2009 um 09:56

Habe gerade mal nach einem amerikanischen Sprichwort gesucht, welches „Infinite Jest“ überreißt und auch David Foster Wallace gefallen hätte:

Madness does not always howl. Sometimes, it is the quiet voice at the end of the day saying, „Hey, is there room in your head for one more?“

(Zu deutsch in etwa: Wahnsinn muss nicht immer weh tun. Manchmal, am Ende des
Tages sagt eine leise Stimme: „Hey, ist in diesem Raum in ihrem Kopf noch Platz für einen anderen?“)

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NO

22. November, 2009 um 17:31

Ihr hellsichtiges Fotografieren ist ähnlich vergnüglich wie Ihre Sprichwortsammlung

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Aléa Torik

22. November, 2009 um 23:17

Lieber Herr Bender!

Ich bedanke mich für diese charmanten Komplimente. Aber sie gehen vollkommen an mir vorbei. Irgendein Halunke, eine Halunkin, muss sich meinen Namen angeeignet haben und veröffentlicht hier Artikel, die sich von meinen erheblich unterscheiden. Auch die Produktionsbedingungen von der Halunkin und mir können nicht dieselben sein. Wenn Sie sehen könnten, wie ich mir jedes Mal die Haare raufe, würden Sie an meinem Verstand zweifeln. Und wenn Sie die Differenz zwischen Absicht und Umsetzung kennen würden, käme ihnen das Wort „intelligent“ nicht über die Lippen.

Dass Männer in Anwesenheit von Frauen bessere Menschen werden wollen, das empfinde ich durchaus als sehr angenehm. Das ist unser, der Halunkin und meiner, bescheidener Beitrag zur Entwicklung dieser Hochkultur. Und wir alle drei haben da, wie ich die Sache einschätze, noch ganz schön Entwicklungspotential.

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Stephan Bender

23. November, 2009 um 00:03

@ Alea Torik & Halunk/in:

Da ich jetzt nicht weiß, von dem diese letzte Botschaft stammt, mache ich ein literarisches Versöhnungsangebot: Es gibt ja frei nach Goethe, „…die Kraft, die Böses will und Gutes schafft!“

P.S. Man kann „Stalking“ auch als Kompliment auffassen.

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Aléa Torik

23. November, 2009 um 08:19

Lieber Herr Bender!

Meine Äußerung war nicht auf ein Missverständnis hin angelegt. Mit der Halunkin meine ich meine Doppelgängerin. Diejenige, die das hübsche Gesicht in die Kamera hält; diejenige, die Komplimente bekommt und lächelnd einsteckt. Aber die hat mit mir nicht so sehr viel zu tun. Ich bin diejenige, die dafür schuften muss, die sich krumm legt, die Nachts nicht schlafen kann, weil sie nicht weiß wie sie dieses oder jenes darstellerische Problem lösen soll. Wir beide, die Halunkin und ich, sind bei Guido Graf, als wir uns für dieses Projekt hier vorgestellt und empfohlen haben, als eine einzige aufgetreten. Auch das war nicht mehr und nicht weniger als die Lösung eines darstellerischen Problems.

Ich dachte einfach, Sie kennen das, weil Sie ja auch eine Zweiteilung vornehmen: ein Mann, wie er ist, sozusagen von Natur aus, und wie er, anhand einer Frau, werden will. Ein besserer und ein schlechterer Mann eben. Wir können auch der Einfachheit halber sagen: Innen und Außen. Das ist nun einmal eine Differenz. Bei uns allen.

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Stephan Bender

23. November, 2009 um 11:57

@ Alea Torik:

Ein literarisches Versöhnungsangebot, bei dem zwei Seelen („Ach!“) in einer Brust wohnen, bezieht sich auf eine Person. Oder? Ich hatte es bereits durchschaut, dass Ihre Doppelgängerin Sie selbst sind.

Der Analytiker fragt sich jetzt, warum sich eine Person in zwei oder mehr Teile aufspaltet, nur weil ein Teil offenbar Probleme damit hat, ein Lob entgegenzunehmen, während der andere Teil dieser Persönlichkeit darüber strahlt. Man fragt sich weiter, ob der Teil der Persönlichkeit, der nachts nicht schlafen kann, weil er „nicht weiß wie sie dieses oder jenes darstellerische Problem lösen soll“, wirklich nichts von den anderen Teil der Persönlichkeit weiß, der am nächsten Tag sein Gesicht in die Kamera hält: Eigentlich müssten sich die beiden Teile doch mal ab und zu begegnen und sich darüber aussprechen, warum das Leben so ungerecht ist?

Der Trick, mir über den Umweg des liebenden Mannes eine kleine Persönlichkeitsspaltung aufzuschwatzen, ist zwar amüsant, taugt aber nur für eine Komödie oder eine ’soap opera‘. Ich bin am Mythologischen interessiert: Der bessere Mann in mir hat einen Vertrag mit dem maskulinen Urvieh geschlossen, der da besagt, wenn sich der gute Teil anstrengt, darf das Urvieh ab und zu die Sau (oder besser den Bullen) herauslassen. Und zu meiner großen Überraschung haben Frauen einen solchen Vertrag auch mit sich geschlossen…! Der Vertrag der Frauen besagt, dass man unmöglich ein liebes, anständiges Mädchen bleiben kann und sich gleichzeitig emma-hart emanzipieren. Und da sitzen Sie in Deutschland in der Falle, liebe Alea Torik, denn die Emanzipation der Frau in Deutschland vollzieht sich in etwa so, wie Stalin den Kommunismus errichtete. Es gibt freudlose Siege über die männliche Vorherrschaft, aber es gibt keine Liebe mehr. Da sind mir Leute, die statt des Großen Führers ihren Vater anhimmeln, wirklich lieber!

Bei mir gibt es jedenfalls kein Innen und Außen, keine Differenz und demzufolge ist das nicht „bei uns allen“ so. Die „political correctness“ ist eine verbale Form des demokratischen Faschismus. Das klingt jetzt hart, aber in einem Jahr plappern mir das wie immer alle nach….

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Christian Wiegold

23. November, 2009 um 15:50

Lieber Herr Bender,
schauen Sie mal auf Seite 643 von US: »die anderen Weißflagger«, heißt es da »sind verstummt«. Nun möchte ich Ihnen natürlich schon deshalb kein Verstummen wünschen, weil im US nichts ferner liegt, als geradeheraus zu sprechen, jedenfalls dann, wenn das Sprechen als eine literarische Form daherkommt. Schauen Sie, zwar hissen Sie hier mit großer Geste und durchaus beeindruckend (Ihr Lacan-Zitat ist mir nicht entgangen) die Fahne, allerdings flattert ihre Flagge bei aller Friedensmühe doch mit dem leider grinsenden Totenkopf eines Piraten, der sie nun selber sind, nicht ohne Grund haben Sie in diesem Blog ja auch den Namen des Superman-Darstellers angenommen. Doch zurück zu US. Wenn dort von männlicher Form als Nein-Gestalt die Rede wäre, dann hätten sie Recht, bzw. dann stünde in ihren Händen dasjenige, was eben Sie schon oft nannten. Damit begehen Sie einige Porfeme, wenn auch nicht direkt einen performativen Widerspruch. Anstatt die weiße Flagge zu hissen, sprengen Sie wohl lieber ein Hissvehikel auf jene Neugierigen, die den Nutz des Hasen schon lange kennen, auch wenn er von nichts weiß. Sie treiben Schabernack, aber sie trauen sich nicht, auch den Laberkack zu beleimen, denn dazu haben Sie wiederum zu wenig Freud. Sigmund natürlich. Aber bleiben wir beim US. Zwei Seiten später ist dort von »Insassenzeit« die Rede, und zusammen mit dem hier schon oft besprochenen Eingangsatz »ich bin hier drin«, muß doch angemerkt werden, dass Sprache nichts ist, was ein Äußeres überhaupt verstehen könnte. Schade also um den Knaberschlack. Aber an Knabberkram ist diese Gesellschaft ja nun wirklich nicht arm, leider habe ich das Gefühl, dass auch der US, als Kritik dieses Knabbern, hier schon viel zu oft, nur als Fremdwörterchips zu einem ansonsten gebildeten Innendrinlebens mit fettigen Fingern mißbraucht wird.
Es grüßt Christian Wiegold

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Stephan Bender

23. November, 2009 um 21:38

@ Christian Wiegold:

Mein lieber Wiegold,

Sie liegen völlig daneben. Aber reden wir einfach Tacheles: Die „verstummten Weißflagger“ sind für mich ganz gewöhnliche Penner und tatsächlich diese „männliche Nein-Gestalten“.
Daher liege ich schon richtig und ich treibe auch keinen Schabernack. (Jedenfalls bin ich mir dessen nicht bewusst.) Ich hisse auch nicht die Flagge des „Piraten“, (die ich allerdings gewählt habe), und ich würde mich selbst auch nicht als Freibeuter auf „jene Neugierigen, die den Nutz des Hasen schon lange kennen“ bezeichnen, sondern im engeren Sinne versuche ich Beziehungen aufzuzeigen, die immer auf der Sach-, der Beziehungs- und dann noch der unterbewussten Ebene daherkommen. Wenn man jetzt noch überlegt, dass wir uns über ein Buch (1) eines Amerikaners (2) von 1996 (3) unterhalten, dass in der heutigen Zukunft (4) spielt, und dass der Autor nicht mehr lebt (5), kommen wir auf insgesamt acht Ebenen, auf denen der Dialog hier im Block geführt wird. Dazu kommen noch die Übersetzung und die Tatsache, dass sich die Teilnehmer des Blogs nicht kennen. Wenn Sie es als beeindruckend empfinden, diese zehn Ebenen konsequent zu kommentieren, dann nehme ich das Kompliment gerne an, reiche es aber an Guido Graf weiter.

Das „Sprache nichts ist, was ein Äußeres überhaupt verstehen könnte“, ist absoluter Blödsinn. Die Sprache ist überhaupt dafür erfunden worden, damit Menschen sich anderen verständlich machen können. Dazu kann auch der „Knabberkram“ gehören, denn manchmal hat der Mensch einfach nichts Fundamentales mitzuteilen, oder die Kommunikation findet halt auf einer Ebene statt, die wir gerade nicht verstehen.

Was mich interessiert, ist, wie „Infinite Jest“ in Deutschland oder Europa funktioniert oder funktionieren könnte. Er würde anders aussehen, als der amerikanische Roman. Er würde, auch Jahrzehnte später, ein „Mann ohne Eigenschaften“ werden, denn Europa ist mitsamt seinen Computern und Mobiltelefonen mental in die Zeit vor dem Krieg zurückgefallen. Es ist wirklich schwer, als modern denkender Mensch sich darin zurechtzufinden; vielleicht „sprenge ich deswegen lieber ein Hissvihekel auf jene Neugierigen“, die alles sind, nur nicht neugierig.

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Über das Buch

1996 erschien »Infinite Jest« in den USA und machte David Foster Wallace über Nacht zum Superstar der Literaturszene. Vor einem Jahr nahm sich David Foster Wallace das Leben. Sechs Jahre lang hat Ulrich Blumenbach an der Übersetzung von Wallaces Opus magnum gearbeitet, dem größten Übersetzungsprojekt in der Geschichte des Verlags Kiepenheuer & Witsch.
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